die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1977
Text # 115
Autor Bertolt Brecht
Theater
Titel Tage der Commune’
Ensemble/Spielort Royal Shakespeare Company/Aldwych Theatre/London
Inszenierung/Regie Howard Davies
Neuinszenierung
Sendeinfo 1977.11.05/SFB 1977.11.07/SWF Kultur aktuell/SRG Basel/Nachdruck: Darmstädter Echo

Die Neuinszenierung der ‘Tage der Kommune’ von Brecht durch die Royal Shakespeare Company, die wir einem Nachholbedarf verdanken – das Stück kommt zum ersten Mal auf eine Londoner Bühne – bestätigt leider nur, daß es schwer ist, eine Revolution zu machen, fast ebenso schwer, ein Stück darüber zu schreiben, ein Stück, das auf jeden Personenkult verzichtet und das Volk, die revolutionionäre Masse, zum Helden des Dramas erhebt. Außer David Hares bewundernswerter Dramatisierung von William Hintons Buch ‘Fanshen’, einem Bericht über die Ereignisse in einem chinesischen Dorf während der Großen Revolution (ein Stück, das in seiner Bedeutung bisher weithin unterschätzt wurde und darum so gut wie unentdeckt geblieben ist) – außer ‘Fanshen’ ist mir kein Bühnenwerk bekannt, dem die Darstellung der praktischen Probleme, der unendlich mühevollen Prozedur der Durchsetzung einer demokratischen Revolution, die die Machtverhältnisse eines Staates auf den Kopf stellt, wirklich gelungen wäre.

Brecht hat versucht, ein tragisches Kapitel der französischen Geschichte zu gestalten: den Kampf der französischen Arbeiter und Soldaten im Paris von 1871. Das Bündnis zwischen der französischen Bourgeoisie und Bismarck und die Unentschlossenheit des Zentralkomitees der Nationalgarde besiegeln den Untergang der ersten Arbeiterregierung. Die Moral der Geschichte, wie sie uns vorgestellt wird, ist: Der Sozialismus läßt sich ohne Waffengewalt nicht durchfechten, wenn die Kräfte der Reaktion, die die alten Machtverhältnisse verteidigen, sich einem gesellschaftlichen Umsturz mit Waffengewalt widersetzen.

Diese These des Stückes ist ebenso plausibel wie irreal (um nicht zu sagen absurd), wenn sie uns in Zeiten der politischen Verhärtung, der erfolgreichen Restauration eines bestehenden Machtgefüges gewissermaßen von außen angetragen wird, sich also nicht auf einen Zustand des gesellschaftlichen Umbruchs bezieht, auf einen Staat, dessen Machtstrukturen sich bereits aufzulösen begonnen haben, so daß der Appell “Volk ans Gewehr!” die schon auf vollen Touren laufende Revolution zu einem beschleunigten Ende führen könnte.

Die in der Versammlung der Delegierten diskutierte Frage, ob man Gewalt mit Gewalt, Terror mit Terror bekämpfen dürfe oder müsse, betrifft das uralte Dilemma aller Versuche, eine bestehende Gesellschaftsordnung durch eine neue, bessere gerechtere zu ersetzen. Es ist eine Frage, die immer wieder gestellt und immer wieder beantwortet werden muß. Wenn jedoch einem führenden Abgeordneten der Nationalversammlung – hier Langevin, ein besonnener, gar nicht radikaler Charakter – in der Inszenierung der Royal Shakespeare Company die Worte in den Mund gelegt werden: ”Wir sind berechtigt zum Terror!” (es ist hier vom Terror gegen den Terror der Konservativen die Rede), dann wird dieser Satz mit dem ominösen Reizwort, das man heute nur noch in Verbindung mit den Verbrechen der Baader-Meinhof-Gruppe zu kennen scheint, einigermaßen deplaziert.

Die Inszenierung der Royal Shakespeare Company unter der Regie von Howard Davies bestätigt, daß ‘Tage der Kommune’ ein schwaches Theaterstück ist, das man, so meine ich, nicht aufführen sollte, nur weil es ein Stück ist von Brecht. Es wird vorgestellt in der ziemlich freien Übersetzung von Clive Barker und Arno Reinfrank; einige Szenen, so der Dialog zwischen Bismarck und Jules Favre in einer Loge der Frankfurter Oper und ein Teil der Debatten der Delegiertenversammlung, sind gestrichen. Die Lieder werden ohne musikalische Begleitung gesungen, wodurch sie noch flacher und kläglicher klingen.

Alles in allem ein trauriger Abend, der nur das Vorurteil vieler Engländer bestärken wird, daß Brecht (den sie kaum je in authentischen Aufführungen kennenlernen konnten) ungenießbar ist, langweilig und darum entbehrlich.

 

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