Seit zehn Jahren gehört die ‘People Show’ zur Spitze der britischen Theateravantgarde, obwohl sich ihr Stil in dieser Zeit kaum wesentlich verändert hat und nur an der heute fast traumwandlerischen Sicherheit im Ausdruck und dem Grad der Artikulation sich ihre künstlerische Entwicklung erkennen läßt. Da die Arbeit der Gruppe sich von traditionellem Theater weitgehend unterscheidet, der Inhalt ihrer Stücke sich überdies hartnäckig gegen alle Versuche der Interpretation, der Entzifferung einer ‘Botschaft’, sträubt, bleibt dem Berichterstatter eigentlich nur die Möglichkeit zu beschreiben, was er jeweils gehört und gesehen und dabei innerlich erfahren hat.
Wer die People Show besucht, läßt sich auf ein Abenteuer ein. Er nimmt an einer Art Happening teil, bei welchem die Akteure sich scheinbar völlig der Inspiration des Augenblicks überlassen. Er folgt den Personen des Spiels auf einer Reise ins Land der Imagination.
Das Spiel beginnt in Dunkel und Stille. Dann das Auf und Ab von Verkehrsgeräuschen auf stark befahrener Autostraße, das Atmen der Nacht, wie Meeresrauschen. Licht fällt auf ein Fenster; hinter wehendem Tüllvorhang ein schlafendes Paar. Ferne Klaviermusik. Dann wieder Dunkel, aus dem signalhaft einzelne Gegenstände aufleuchten: Eine Lampe, ein Küchenfenster, ein Telefon, eine Hütte und, auf der anderen Seite des über die ganze Länge des Saales ausgedehnten Spielraumes, ein siloartiger Turm mit gewaltiger hölzerner Seilwinde.
Von draußen öffnet sich eine Tür, gleißendes Licht strömt herein; in Nebelschwaden die Gestalt eines Mannes. Im Schein einer Taschenlampe erkundet er den Szenenort. Morgendämmerung erhellt allmählich den Raum. Das Paar in der Hütte hat sich erhoben. Ferne Geräusche aus einem Rundfunkgerät. Der Fremde hat sich der Hütte genähert. Ein Blickwechsel mit der Frau im Inneren des Hauses verrät Sehnsucht. Besorgt baut der Ehemann Barrieren, die den Durchblick verstellen sollen, versucht mit Gesten der Zuneigung die drohende Gefahr zu bannen.
Auf der anderen Seite des Saales hat sich die Seilwinde knarrend in Bewegung gesetzt. Im Dachgestühl kauert ein gnomenhafter Mann über einer Anzahl von Säcken. Aus einem Haufen zerknüllter Zeitungen kriecht ein schildkrötenartiges Untier hervor und gebiert ein schwarzes Mädchen, das sich dem Bewohner des Turmes zugestellt. Ihr tierhaft naiver Liebestanz wird kontrapunktiert durch die Entwicklung im Inneren der Hütte, wo der Fremde inzwischen anstelle des Ehemannes im Bett hinter der Tüllgardine liegt.
Einem erbitterten Kampf im Turm um den Besitz der kostbaren Säcke folgt die Versöhnung unter einem Regenschirm im Wolkenbruch. Der Fremde hat die Frau aus der Hütte geführt. Das Wetter klart auf und alle versammeln sich zu einem Picknick am Strand. Minutenlang schmatzende Behaglichkeit mit Blick aufs Meer. Die Wellen schlagen ans Ufer. Die Frau singt ein trauriges Lied. Ihr Mann faßt sie bei der Hand und führt sie nach Hause; die anderen verschwinden im Turm. Nur der Fremde bleibt einsam und unglücklich zurück. Ein Abenteuer geht zuende. Guitarrenmusik.
Was sich an scheinbar absurden Vorgängen im Laufe des Spieles ergibt, wird uns (in diesem Fall ohne Worte) so einleuchtend plausibel vorgestellt wie Traumerlebnisse, deren Realität und Glaubwürdigkeit der Träumende bedingungslos akzeptiert. Alles, was geschieht, hat Schönheit und Sinn. Es sind unsere eigenen Sehnsüchte und Ängste, die uns in traumbildhafter Form aus den bewegten Bildern und Klängen der People Show entgegenkommen.
Die Gruppe hat eine Form abstrakten Theaters entwickelt. Eine Inszenierung wird durch Absprache der Rollen und der Idee des Ablaufs, den Rhythmus der Stimmungswechsel, der akustischen und optischen Signale lose arrangiert und in Gegenwart des Publikums szenisch ausgespielt. Die verschiedenen Inszenierungen haben keine Titel; sie werden fortlaufend nummeriert, wie die Bilder einer Serie im Bereich der ungegenständlichen Malerei.
Die People Show liefert poetische Bilder ohne Moral, Spielräume für die Phantasie der Zuschauer, szenische Gedichte, die nicht mehr sagen als sie zeigen, und nur das, was sie sind: sie sind ohne Hinter-Sinn.