die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1972
Text # 41
Autor Arnold Wesker
Theater
Titel The Old Ones
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Uraufführung
Sendeinfo 1971.08.09/SWF Kultr aktuell

Arnold Weskers neues Stück ‘The Old Ones’ (Die Alten) ist eine Studie über die Situation alter Menschen in einer Gesellschaft, die nach Leistung mißt und darum für die aus dem Arbeitsprozeß Ausgeschiedenen, also unbrauchbar Gewordenen wenig Mitleid kennt. Das Problem ist international, hierzulande aber, wo die Altersrenten noch immer unter dem Existenzminimum liegen, besonders ernst. Wesker, der sich sonst durch resolute Parteinahme für die in der Gesellschaft Zukurzgekommenen unbeliebt zu machen pflegt, hat eine ‘Komödie’ zu schreiben versucht, deren Quintessenz in der eher positiven Feststellung zu liegen scheint, daß auch das Alter – selbst unter tristen Verhältnissen – noch seine Freunden hat.

‘The Old Ones’ ist eine Milieuschilderung ohne eigentliche Handlung. Auf karussellartig rotierender Scheibe werden uns die Personen vorgestellt, meist ältere Leute jüdischer Abstammung, die es nach England verschlagen hat und mehr oder weniger isoliert nebeneinander in einem Mietshaus wohnen: Emmanuel, ein alter Schneider, der nachts draußen im Hinterhof schläft, am Tage jedoch die Freude am Dasein besingt; sein sauertöpfischer, lebensfeindlicher Bruder Boomy, mit dem Emmanuel täglich neue Zitat-Schlachten schlägt, für welche die alten Propheten, Voltaire, Martin Buber und andere erlauchte Geister herhalten müssen; beider Schwester Sarah und deren Tochter Rosa; Emmanuels Frau und Boomys Sohn, ein Student der Politologie, der sich mit seinem Vater überworfen hat; ein weiterer Neffe, der als Maler zu Geld kommen will; zwei alte Freundinnen Sarahs und ein debiler Nachbar, der mit einer Glocke umhergeht, um die Leute vor seiner eingebildeten Schlechtigkeit zu warnen.

Wesker braucht den ganzen ersten Akt bis zur Pause, um uns mit den Personen und ihren Beziehungen zueinander vertraut zu machen. Im zweiten führt er sie zur Familienfeier des ‘Succoth’ zusammen, einem altjüdischen Erntefest, an dessen Riten sich keiner der Anwesenden mehr recht erinnern kann. Die kaum mehr handelnden Personen des Stücks reden und reden, meist über sich selbst und ohne Bezug auf den anderen. Man erfährt, wie sie räsonieren, wenig darüber, wer sie sind. Die Figuren bleiben blaß und einigermaßen körperlos.

Zwar gibt es im Stück überaus liebenswerte Momente, wie die schrulligen Dialoge mit der schwachsinnigen Millie oder die Gespräche zwischen Emmanuel und seiner verbitterten Ehefrau (“Ich werde alt und er wird jung!“), aber auch ausgesprochen ärgerliche Szenen, wie Rosas Loblied auf Sarah nach der Weise ‘Wenn du noch eine Mutter hast ...’ oder der emphatische Appell Rosas an die Jugend “Bücher, Bücher – nehmt sie, lest sie, lest Bücher!”

So unverbunden wie die meisten der kurzen Szenen im ersten Teil nebeneinander stehen, so disparat bleiben die einzelnen Reden am Familientisch. Emmanuel verläßt plötzlich die Runde, um ein Bad zu nehmen und dann (unverständlicherweise halb nackt) mit einer neuen Eingebung zurückzukehren. Sein lebensbejahender Optimismus soll am Ende siegen. Doch der Zusammenhalt fehlt, die Details streben auseinander, nicht zur verbindenden Einheit, die solchen Optimismus auch im Hinblick auf die vereinsamten Alten vielleicht noch erlaubte.

Fast gegen die Absicht des Autors teilt sich durch die Schwächen des Stückes etwas von der Wahrheit über das Elend der Alten mit.

 

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