In einem Gespräch, das ich im Januar 1977 führte, erklärte Athol Fugard auf die Frage: Gibt es noch eine Hoffnung auf eine friedliche Lösung im Südafrika? – “Ich habe alle Hoffnung, wirklich alle Hoffnung auf die Möglichkeit friedlicher Veränderung verloren. Ich glaube, daß die menschenwürdige Gesellschaft, die es eines Tages auch in meinem Lande geben wird, noch teuer erkauft werden muß, mit dem Leben vieler Menschen und großem Leid”.
Athol Fugard ist wieder in London, und vor einigen Tagen hörte ich, wie er bei einem Interview im britischen Rundfunk den Gedanken wiederholte, mit der gleichen traurigen Emphase in der Stimme, die nun noch resignierter, bitterer klang über die Unausweichlichkeit der blutigen Konfrontation, obwohl Fugard mit grimmiger Entschlossenheit festzuhalten scheint an dem Glauben, daß der dornenreiche Weg, den sein Land geht, irgendwann ein Ende haben müsse.
Das Markttheater aus Johannesburg gastiert mit Fugards neuem Stück ‘A Lesson From Aloes’ (Eine Lektion von Aloen) im Nationaltheater. Fugards neuer, in Berlin prämierter Film ‘Marigolds in August’ (Ringelblumen im August) hatte am selben Abend in einem Londoner Filmtheater Premiere. Sein Thema, wie das all seiner Bühnenstücke, die in den letzten zwei Jahrzehnten entstanden: Die Tragödie Südafrikas.
“Politische Übel sind keine Naturkatastrophen“, heißt es in seinem neuen Stück, “sie sind von Menschen geschaffen und darum veränderbar. Das ist die einfache Botschaft“. Es ist die Botschaft, die aus allen Texten von Athol Fugard spricht, des weißen Südafrikaners, der als das Gewissen seines Landes gilt und durch sein Ansehen im Ausland auch zu Hause so viel Respekt genießt, daß – wie man im Programmheft zur Aufführung liest – nun selbst einige südafrikanische Geschäftsleute, die man sich wahrscheinlich in Verkennung der sehr viel komplexeren politischen Lage, als seine natürlichen Feinde vorstellt, den Autor Fugard und seine Theaterarbeit offiziell zu unterstützen wagen.
Fugard gibt zu, daß er sich mit der Zentralfigur seiner ‘Lektion von Aloen’, einem weißen Afrikaner holländischer Abstammung, der mit ingrimmiger Leidenschaft seinem Heimatland auch in seinen schlimmsten Zeiten die Treue hält, weitgehend identifiziere. Piet Bezuidenhout hat seine Farm verloren als Folge einer langen Dürreperiode und weil er sich politisch gegen die Regierung engagierte. Steve, sein bester Freund, ein Schwarzer, der ihm vor Jahren die Augen für die verbrecherische Moral der Apartheidpolitik öffnete, hat einige Zeit im Gefängnis verbracht und nach der Entlassung beschlossen, den scheinbar aussichtslosen Kampf gegen die Übermacht des Systems aufzugeben. Er möchte mit seiner Familie nach England übersiedeln.
Piets Ehefrau Gladys ist erst vor sechs Monaten aus einer Nervenklinik entlassen worden, wo sie wegen eines seelischen Zusammenbruchs nach einer Razzia der Polizei in Behandlung war. Wie Steve, der Freund ihres Mannes, ist sie eine gebrochene Gestalt, Opfer von Verhältnissen, die nicht ein numinoses Schicksal über sie verhängt, sondern Menschen verschuldet haben. Und wie Steve sucht sie am Ende des Stückes ihr Heil in der Flucht: sie beschließt, wieder zurückzukehren in die geschlossene Anstalt.
Zwischen diesen beiden Personen steht die solide Gestalt des weißen Afrikaners, der die Zeit der großen Dürre zu überleben hofft wie die Aloen, jene kaktusähnlichen Gewächse, die mit ihren bedornten, fleischigen Blättern in wüstenartigen Gegenden lange Perioden der Trockenheit überdauern.
Piet erwartet den Freund mit seiner Familie zu einem Abschiedsbesuch. Gladys hat Zweifel, daß die Gäste kommen werden. Denn sie weiß: Piet steht im Verdacht, den Freund denunziert und damit ins Gefängnis gebracht zu haben; man meidet ihn seither. Erst ganz am Schluß erfahren wir, daß Piet wirklich unschuldig ist.
Die Hintergründe dieser Geschichte werden wie im klassischen Enthüllungsdrama von Ibsen vom Endstadium her, das uns zunächst sehr rätselhaft erscheint, allmählich aufgerollt. Drei großartige Schauspieler verhelfen dem Autor und Regisseur Athol Fugard zu einem unvergeßlichen Theaterabend. Shelagh Holliday als Gladys erinnert an Mary Tyron aus O’Neills ‘Langen Tages Reise in die Nacht’ und an die verstörte Gestalt der Blanch Dubois von Tennessee Williams, deren traurige Lebensgeschichte auf ähnliche Weise endet. Bill Curry als Steve verbirgt hinter der Maske des Komikers die Enttäuschung und Bitterkeit des Mannes, der keinen Ausweg mehr sieht außer der Flucht in die Emigration. Marius Weyers Piet ist äußerlich der Inbegriff des häßlichen Afrikaners, doch im Inneren der aufrechte Mann mit dem ausgeprägtem Gefühl für Treue, Würde und Anstand, der mit eisernem Willen die Stellung zu halten versucht und die Hoffnung nicht aufgibt, daß die schreckliche Zeit der großen Dürre nicht ewig dauern wird.
Wie er kämpft Athol Fugard, der weiße Afrikaner, gegen das Unrecht, das nicht nur denen widerfährt, die wegen ihrer Hautfarbe in seinem Land ein Sklavendasein führen, sondern auch das Leben der Weißen, die noch ein Gewissen haben, vergiftet. Doch wie stets spricht hier nicht der Haß gegen die Unterdrücker, die Fugard mit allen geistigen Waffen bekämpft, sondern Mitgefühl für die Rechtlosen und Mißhandelten, denen seine Stücke gewidmet sind.