‘AC/DC’ heißt der Titel des Stückes, das nun schon zum dritten Mal innerhalb eines Jahres im selben Theater in neuer Gestalt dem Publikum vorgestellt wird. AC/DC, vier Großbuchstaben, die wie eine technische Formel klingen. “‘AC/DC’”, so liest man,” ist das absonderlichste Stück, das jemals im Royal Court Theatre aufgeführt wurde”. Mehrfach prämiert, inzwischen auch in New York mit drei Preisen bedacht, wurde sein Autor Heathcote Williams von der Londoner Abendzeitung ‘Evening Standard’ sogar zum “besten Stückeschreiber des Jahres 1970” gewählt.
“‘AC/DC’ ist das erste Stück seiner Art“, schreibt ein bekannter Kritiker, “ein Stück, dem man mit dem üblichen kritischen Werkzeug nicht beikommen kann“. Um zu verstehen, was vorgeht, muß man sich sozusagen durch die Hintertür einschleichen – ein sehr mühsames Verfahren, das ein geduldiges Publikum verlangt. Die besondere Schwerverständlichkeit des Stückes erklärt sich aus der Tatsache, daß ‘AC/DC’ wie aus der Sicht eines hochgradig Schizophrenen geschrieben wurde, dessen extrem entwickeltes Gehirn alle Erfahrungen seiner Zeit in sich aufgespeichert hat und in ihren disparaten Elementen aus sich hinausprojiziert.
Die handelnden oder vielmehr leidenden Personen des Stückes befinden sich in albtraumhaften Zuständen; ihr Verhalten ist ‘unlogisch’, irrational und folgt den Gesetzen des Traums. Die Phantasie überspielt die Grenzen von Zeit und Raum, die Bilder verselbstständigen sich, fließen ineinander, formieren sich neu, ohne erkennbaren Plan, rein assoziativ, paradox, scheinbar ohne Sinn.
Der Zugang zum Verständnis des Stückes wird aber vor allem durch die Sprache erschwert, die jene ungeheuerliche Vielfalt des gedanklichen und emotionalen Materials artikuliert. Man verliert sich im Urwald der Begriffe und Zeichen, einem aberwitzigen Gewebe aus philosophischen und wissenschaftlich-technologischen Jargons der Zeit.
‘AC/DC’ hat äußerlich fast keine Handlung; es ist die Darstellung von Zuständen, in denen sich die fünf Personen des Stückes befinden. Zwei Männer stehen in eigenartigem Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Perowne, ein heruntergekommener Naturwissenschaftler, braucht Maurice, den Wahn-Sinnigen, wie umgekehrt Maurice nicht ohne das genialische Gehirn Perownes leben kann. Beide schizophren, wenngleich auf verschiedene Weise, funktionieren sie wie die elektromagnetischen Pole im universalen Kraftfeld des Geistes. Gegen die abenteuerliche Vielfalt der schizophrenen Halluzinationen wirkt die durch Drogen provozierte Weltflucht eines Hippiepaares armselig und schal. In einer Spielhalle treffen Maurice und Perowne das schwarze Mädchen Sadie. Ihr gelingt es schließlich, in die komplizierte Welt der beiden Männer einzudringen, ihr Verhältnis aufzubrechen und Perownes gequälten Geist durch einen operativen Eingriff ins Gehirn zu befreien. Die Leere auf dem Gesicht Perownes nach der grausamen Operation spiegelt das Glück des Erleuchteten, der die irdische Welt überwunden und im Nada, im namenlosen Nichts, den ersehnten Frieden gefunden hat.
Die Buchstaben AC/DC, sonst die Bezeichnung für Wechselstrom, bezeichnen hier auch die Position, in welche die erlösende Schädelbohrung treffen muß. AC/DC steht jedoch auch als Formel für die Menschen selbst und deren totale Austauschbarkeit. “Ihr seid, was ihr freßt“, heißt es im Stück, das Produkt der Reizüberflutung, der elektromagnetischen Verseuchung. Lebensstil und Bewußtseinszustand des Schizophrenen sollen eine Vorstellung geben von Möglichkeiten, wie der gigantischen Überlastung durch Informationen zu begegnen sei. In unseren Hirnen ereignet sich mehr, als wir in gewöhnlicher Sprache ausdrücken können. Schizophrenie wird zum Modell für die notwendige Änderung unseres geistigen Verhaltens, die – nach Ansicht des Autors – kommen muß, wenn der Mensch die von ihm selbst geschaffene Welt überleben will.
‘AC/DC’ von Heathcote Williams ist, soweit ich sehe, nach Inhalt und Form eines der progressivsten Theaterstücke der Gegenwart.