“Sensationelle ‘Salome’”, hieß es in der Überschrift einer Londoner Zeitung nach der Premiere der Strauß-Oper, der ersten Aufführung des Werkes durch die English National Opera. Das im allgemeinen etwas zurückhaltende englische Publikum bedankte sich nach der Vorstellung mit Ovationen, die Josephine Barstow und ihrem deutschen Regisseur Joachim Herz gleichermaßen zu gelten schienen.
Die bewegliche, farbenprächtige, dramatische Inszenierung von Joachim Herz war seinem Bühnenbildner Rudolf Heinrich gewidmet, mit dem er gemeinsam unter Felsenstein gearbeitet hatte und der während der Vorbereitungen zur Londoner Aufführung verstarb. Heinrichs Bühnenbild mit halbkreisförmigen, mehrstöckigen Säulengalerien aus römischen Ziegeln, sieben mächtige Bögen einer Basilikaruine mit amphitheatralisch zur Mitte abfallenden Böden, die im Vordergrund an dem runden Gitter enden, dem zisternenartigen Verließ des Jochanaan, ist mit seinen zahlreichen Schrägen, Treppen, Logen, Nischen und Portalen auf vielen verschiedenen Ebenen der ideale Rahmen für den Regisseur bewegter, pulsierend lebendiger Szenen.
Joachim Herz zieht alle inszenatorischen Register. Er bringt viel schaulustiges Volk auf die Bühne, läßt es scheinbar zwanglos über Treppen und Galerien auf- und abschreiten, komponiert immer wieder neue Positionswechsel, ohne vom Spiel und Gesang der Protagonisten, auf die er die Aufmerksamkeit der Leute am Hofe fixiert, wesentlich abzulenken.
Josephine Barstow ist eine gertenschlanke, erotisch sehr attraktive Salome mit mächtiger, klarer Stimme und außergewöhnlicher schauspielerischer Begabung, die alle Schwierigkeiten der heiklen Rolle meistert und so verführerisch tanzt, daß – wie einer der Kritiker schrieb – nicht nur Herodes (Emile Belcourt), sondern jedem Manne im Saal der Atem stockt.
“Josephine Barstow”, hieß es im ‘Daily Telegraph’, “feierte einen unverkennbaren Triumph in der Titelrolle der neuen ‘Salome’ ... Der phantasievollen Inszenierung von Joachim Herz gelingt es, die theologischen Dispute in die Handlung einzubeziehen und ihnen dramatische Relevanz zu geben, wenngleich der letzte Befehl des Herodes zur Tötung Salomes mißachtet wird und ihr ‘natürlicher Tod’ als seltsam sentimentale Pointe etwas enttäuscht”.
“Die lang erwartete ‘Salome’ der English National Opera”, hieß es im ‘Evening Standard’, “hatte gestern Abend eine sensationelle Premiere. Was wir bejubelten, war eine unbarmherzig veristische Darbietung der Fabel, fast eine Rückkehr zu Oscar Wildes Original ... Realismus war die Grundidee der Inszenierung von Joachim Herz mit dem Bühnenbild und den fabelhaften Kostümen des verstorbenen Rudolf Heinrich“.
“Das Verdienst Walter Felsensteins kann vielleicht erst jetzt, nach seinem Tod, in vollem Umfang ermessen werden“, schrieb die ‘Financial Times’. “Herz, Heinrich und ihren Mitarbeitern gelang die Rehabilitierung der Straußschen ‘Salome’, die einige Zeit für ein abgeklappertes altes Stück gehalten wurde, der ‘Electra’ weit unterlegen”. – “Da ist zuweilen die Gefahr allzu vieler ruheloser Bewegung”, hieß es an anderer Stelle. “Der Tanz wirkte im Vergleich zu dem, was man normalerweise sieht, so viel interessanter, so viel weniger unecht, daß die Schlußszene dadurch beinahe verloren hätte”.
Allgemeines Fazit, in dem alle übereinstimmen: “Ein erregender Abend und eine Inszenierung, die sich mehrfach anzusehen lohnt”.