die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1981
Text # 164
Autor Edward Bond
Theater
Titel Restoration
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie Edward Bond
Uraufführung
Sendeinfo 1981.07.20/DLF/SRG Basel 1981.07.22/SWF Kultur aktuell/RB/SFB/SR/ORF Wien

Edward Bond, darin scheint man sich einig zu sein, ist einer der bedeutendsten Dramatiker eines Landes, das seit den fünfziger Jahren mehr talentierte Bühnenautoren hervorgebracht hat als jede andere Nation der Welt. Er ist zugleich einer von denen, deren literarische Arbeit von Brecht, dem Brechtschen Theater, am deutlichsten beeinflußt wurde und diesen Einfluß anerkennt. Als ich vor einigen Tagen in einem Gespräch darauf verwies, man höre gelegentlich sagen, daß er im deutschen Sprachgebiet allgemein noch mehr Anerkennung finde als in seinem Heimatland, wo er doch relativ spät entdeckt worden sei, gab Bond zu verstehen, dies sei ein Gerücht, das sich lange gehalten habe, doch dadurch nicht an Wahrheit gewinne. Seine Stücke würden dort kaum gespielt; was möglicherweise damit zu tun habe, daß sie den deutschen Schauspielern nicht lägen. Er, Bond, halte ihren Darstellungsstil für denkbar altmodisch. Wie er überhaupt den Eindruck habe, daß das englische Theater – Autoren wie Darsteller – viel nachhaltiger von Brecht gelernt hätten. Den hätten sie heute im Blut, während die Deutschen sich damit weiterhin schwertäten, einerseits nicht von ihm loskämen, ihm andererseits aus dem Weg gingen.

Mit der Uraufführung des Stückes ‘Restoration’, das der Autor im Untertitel ‘Eine Pastorale’ nennt, macht Bond zum dritten Mal den Versuch, ein eigenes Werk selbst in Szene zu setzen. Wie in vielem anderen, folgt er auch hierin dem großen Vorbild Brecht, aus eigenen, ehrenwerten Motiven: um aus der Arbeit mit Schauspielern zu lernen und, wie er erklärt, mit ihnen gemeinsam nach neuen Darstellungsformen zu suchen, die ein modernes Publikum erreichen.

Die Geschichte des Stückes nimmt sich aus wie eine Moritat. Es ist die schröckliche Mär von einem Lord, der, um seine Schulden zu tilgen, die Tochter eines reichen Industriellen heiratet, ihr vorher verspricht, sie in die Gesellschaft bei Hofe einzuführen, doch nachher nicht an die Einlösung seiner Versprechen denkt, woraufhin sie dem Ehemann als Gespenst erscheint, das ihm Böses prophezeit, wenn er seine Frau nicht nach London mitnehme, der Lord den Degen zieht, das Gespenst ersticht und dann den Mord seinem getreuen Diener Bob in die Schuhe schiebt, der schließlich statt seiner am Galgen endet. Wenn uns vor dem Höhepunkt der traurigen Geschichte das Gefühl gegeben wird, daß der Vater der Toten, um sein Vermögen zurückzugewinnen, dem bösen Lord das Handwerk legen werde, dann nur, um uns darüber zu belehren, daß solche Hoffnung trügerisch ist, der arme Mann in jedem Fall verliert, Geld, Adel und Geistlichkeit sich über den Köpfen der kleinen Leute versöhnen und sie die Zeche zahlen lassen.

Die Personen des Stückes, das uns wie ein vergnüglicher, wennzwar nicht harmloser Schwank dargeboten wird, sind nicht als Individuen gezeichnet, sondern als typische Vertreter ihrer Gattung: der blasierte, gewissenlos frivole Lord Are, der vierschrötige, stur auf Profit bedachte Grubenbesitzer Hardache, sein kratzbürstiges Töchterchen Ann, ihre schwarze Zofe Rose, Frank und Bob als die geschundenen Diener des Lords, Mrs Hedges als gutherziger Hausdrache, der blinde Schweinehirt Gabriel, die dem Gin verfallene alte Lady Are und der absurde Pastor, der hier vollends zur Karikatur mißriet.

Daß es dem Autor nicht nur auf den Spaß ankam, das Gelächter auf Kosten historischer Verhältnisse, die mit unserer Welt nichts mehr zu tun haben, machen die Lieder deutlich, mit der Bond von Zeit zu Zeit die Handlung unterbrechen läßt. Die Schauspieler treten dabei an die Rampe, ein Mikrofon wächst aus dem Boden, eine Vier-Mann-Kapelle, die auf erhöhter Ebene sichtbar im Hintergrund saß, rollt nach vorn, und bei veränderter Beleuchtung singen die Darsteller einzeln, zu zweit oder als Gruppe direkt ins Publikum. Es sind vertonte Gedichte, Gedichte über die jahrtausendelange Ausbeutung des Menschen durch Menschen, über die Gefahren des Krieges, über Konzentrationslager, Unfälle in Fabriken, Unschuldige in Gefängniszellen und über den Tod im Atomblitz, der so schnell vernichtet, daß “sie starben mit den Gesten der Lebenden”. Die Lieder sollen uns helfen zu verstehen, daß es nicht nur um die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts geht, sondern um die Bedrohung unserer eigenen Existenz; daß es darauf ankommt, die Gefahren, mit denen wir leben, zu erkennen und ihre Ursachen als menschlich, von Menschen gemacht, zu durchschauen. Es ist der Appell an die Vernunft des homo sapiens, dessen Waffenarsenale dutzendfach zur Vernichtung der Menschheit genügen und der dennoch weiter rüsten läßt.

Edward Bond hat seit je versucht, die wirklichen und möglichen Greuel unserer Welt mit so unbarmherziger Härte darzustellen, daß man seinen Mut zur Hoffnung auf den Sieg der Vernunft nur bewundern kann. Wer die menschenverachtende Logik der Rüstungspropagandisten durchschaut und ihre Wirkung auf die Masse der Menschen zur Kenntnis nimmt, dem muß solcher Mut zur Hoffnung wie Wahnsinn erscheinen, an dem wir, um zu überleben, verzweifelt festhalten müssen.

Bond sucht, wie er sagt, nach neuen Formen der Kommunikation im Theater. Dies gilt für seine Stücke wie für deren Darstellung. Die Brechtschen Bilder, meint er, wirken nicht mehr. Wir müssen neue Bilder finden, eine neue Sprache entwickeln, um uns mitzuteilen. Mag sein, nur scheint er selbst noch so stark von der alten Bildersprache geprägt zu sein, daß es ihm schwer fällt, sich davon zu befreien. Er singt von den Gänsen, die über den Mond fliegen und für einen Augenblick die Welt mit Schönheit erfüllen, wie Brecht von den Kranichen im großem Bogen; vom kühlen Boot auf dem Feuerfluß, an dessen Ufer die verkohlten Knochen der weißen Männer liegen bleiben; von ausgebrannten Tanks; von dem Kalb, das den Metzgern entflieht und freiwillig zur Schlachtbank zurückkehrt; von dem Mann auf der Flucht, der unsere Hilfe braucht, wo “eine gute Tat ein Verbrechen sein kann”; “wer würde die Peitsche heben, wo ein Befehl genügt?“; und von dem Gott, der zur Erde kam, um den Menschen ihr Glück zu rauben, und dem wir den Schädel einschlagen sollen. Die Sprache klingt so vertraut wie die Botschaft, die nicht verstanden wurde und darum wohl immer wieder gesagt werden muß.

Bonds Botschaft wird weiterhin starker Tobak bleiben, auch wenn sie aus Schwänken spricht. Die Musik der Lieder von Nick Bicat unterstreicht die Dynamik, Schönheit und Härte der poetischen Texte. Die spartanische Kargheit der Inszenierung macht es den Darstellern freilich, die von der Regie des Autors offenbar keinerlei technische Hilfestellung erwarten konnten, denkbar schwer, mehr zu zeigen als das Skelett eines Stückes, dem man möglichst bald eine angemessenere Realisierung wünschen möchte.

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