die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1981
Text # 159
Autor Peter Ustinov
Theater
Titel Overheard
Ensemble/Spielort Haymarket Theatre/London
Inszenierung/Regie Clifford Williams
Hauptdarsteller Deborah Kerr/Ian Carmichael
Uraufführung
Sendeinfo 1981.05.12/DLF 1981.05.13/SWF Kultur aktuell/RB/ORF Wien

Der englische Theater- und Filmschauspieler, Regisseur und Autor Peter Ustinov, der sich vor drei Jahrzehnten mit seinem modernen Märchen ‘Die Liebe der vier Obersten’ in die Theatergeschichte einschrieb, ist als Person so kugelrund springlebendig wie eh und je; ein Mann mit tausend Talenten, die er in jeder denkbaren Form im Rundfunk, Fernsehen und Film, auf der Bühne und selbst im Bereich der Literatur erfolgreich auszustellen verstanden hat; ein polyglotter Globetrotter, der in allen Teilen der Welt aufgetreten ist, sich nahezu alle professionellen Auszeichnungen erwarb und für seine Verdienste um internationale Verständigung zahllose Orden und Ehrenzeichen, darunter die Benjamin-Franklin-Medaille und den Orden des Lächelns von UNICEF, hinzugewann; ein Künstler mit schier unerschöpflichen Energien, der im April dieses Jahres seinen 60. Geburtstag feierte, doch noch immer ein Arbeitspensum bewältigt, das eher dem von drei aktiven 20-jährigen entspricht.

Soeben heimgekehrt von der Mailänder Scala, wo er Mussorgskis ‘Hochzeit’ inszenierte und selbst darin auftrat, eine Oper, für die er ein ergänzendes Kurzdrama geschrieben hatte, das erklärt, warum das Werk vom Komponisten nicht vollendet wurde, kam er gerade zurecht zur Uraufführung seines Bühnenstückes ‘Overheard’ im Londoner Haymarket Theatre. Im Kino gegenüber hatte in derselben Woche sein neuer Film ‘Charlie Chan’ Premiere, und in Mallorca begannen die Dreharbeiten zu einem Agatha-Christie-Krimi, in welchem Ustinov die Rolle des Kommissars Hercule Poirot verkörpern wird.

Wenn Ustinov seit der Premiere des Stückes ‘Die Liebe der vier Obersten’ unendlich viel getan hat, um seinen Namen im Gerede der Leute zuhalten (besonders stolz soll er gewesen sein, daß Bundeskanzler Helmut Schmidt ihm mit einem längeren persönlichen Telegramm zum Sechzigsten gratulierte), so dürfte das Werk, das wegen seines tiefsinnigen Humors vor dreißig Jahren Ustinovs Weltruhm begründete, ihn auch als einziges überlegen.

Sein neues Stück ‘Overheard’ spielt in der britischen Botschaft eines imaginären Ostblocklandes irgendwo im nördlichen Balkan. Der britische Botschafter und seine Ehefrau Iris langweilen einander bis zu dem Punkt, wo sich die Konversation nur mehr darum dreht, warum man sich nichts mehr zu sagen habe. Die überraschende Ankunft eines märchenhaft schönen Poeten, der durch eine Scheibe des Wintergartens hereinstürzt und politisches Asyl erbittet, und danach die Frau des Botschafters und seine Sekretärin mit unwiderstehlichem männlichen Charme, entwaffnender Offenherzigkeit und romantischen Phrasen zur Strecke bringt, sorgt für eine dramatische Wende sowohl im Eheleben des Botschafters wie auch auf der politischen Szene, wo die offenbar längst fällige Ablösung des versoffenen Ersten Parteisekretärs die Aussicht auf goldene Zeiten der internationalen Zusammenarbeit gewährt.

Der Titel des Stückes ‘Overheard’ (Abgehört) deutet auf die vielfältig nutzbaren Möglichkeiten heimlicher Abhöranlagen, mit denen beide Seiten einander zu überlisten trachten. Das Wissen um die Omnipräsenz der feindlichen Lauscher führt freilich dazu, daß man nur ausspricht, was der politische Gegner hören, das heißt, ihn verwirren soll. Daß Kurukova, der alte Parteichef, die Gefährlichkeit der im Kronleuchter verborgenen kleinen Spione für seine eigene Person unterschätzt, würde ihn Kopf und Kragen kosten, wenn nicht ein weiterer Coup de théâtre ihn vor dem Schlimmsten bewahrte.

Die Machart des dramaturgisch hübsch ausgetüftelten Stückes wirkt erstaunlich konventionell, die Sprache paßt nicht zum altertümlichen Stil der Salonkomödie. Die Dialoge sind nur selten witzig, die meisten Pointen weithergeholt oder voraussehbar, albern oder gar schlicht geschmacklos. Die Regie von Clifford Williams ist arm an Einfällen, das Spiel der Hauptdarsteller Deborah Kerr und Ian Carmichael bemerkenswert blaß, das ganze – für den, der von einem neuen Peter-Ustinov-Stück noch Originelleres erwartete – einfach enttäuschend.

“Was mich wirklich erstaunt”, meinte der Autor kürzlich in einem Gespräch, “ist die Tatsache, daß ich heute kaum etwas anderes sage als vor zwanzig Jahren”. Mag sein, doch früher schien er es besser zu sagen.

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