die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1982
Text # 170
Autor Gordon F. Newman
Theater
Titel Operation Bad Apple
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie Max Stafford-Clark
Uraufführung
Sendeinfo 1982.02.10/SWF Kultur aktuell/WDR/SR/ORF Wien/SRG Basel Nachdruck: Darmstädter Echo

Das Stück beginnt mit einer Ansprache des stellvertretenden Polizeipräsidenten der Metropolitan Police. Er begrüßt die Kollegen, die aus der Grafschaft Wiltshire in die britische Hauptstadt beordert wurden, um Fälle von Korruption bei der Londoner Polizei zu untersuchen. “Wir sind uns darüber klar, daß es nur darum geht, den faulen Apfel in einem Korb voll guter, gesunder Äpfel zu finden. Sie dürfen mit unserer vollsten Unterstützung rechnen“. Der Fortgang des Stückes beweist, daß der Korb, von dem hier die Rede ist, fast nur faule Apfel enthält und die Beamten aus Wiltshire so erfolgreich daran gehindert werden, ihre Aufgabe zu erfüllen, daß die Sache wie das Hornberger Schießen endet.

“Alle Charaktere, Namen und Vorgänge des Stückes sind erfunden, alle Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig”, heißt es auf dem Personenzettel zur Uraufführung des Werkes, um die man ein paar Tage vor der Premiere noch bangen mußte, weil der Generalstaatsanwalt es für nötig gehalten hatte, die Direktion des Royal-Court-Theaters zu warnen, das Stück könne geeignet sein, die Urteile in einem laufenden Prozeß gegen vier Londoner Polizeibeamte zu beeinflussen, die als Resultat der fast dreijährigen Untersuchung “Operation Countryman” kürzlich vor Gericht gestellt worden waren.

Was Gordon F. Newman mit seinem ersten Bühnenstück ‘Operation Bad Apple’ sich vorgenommen zu haben scheint, ist nichts weniger, als die Arbeit der Untersuchungskommission ‘Countryman’, wo sie scheiterte, zum Erfolg zu führen und zu einer etwas realistischeren Einschätzung unserer Polizei beizutragen. Newman, der durch seine Romane und Fernsehfilme sich als bemerkenswerter Kenner des Milieus erwies (man sagt, er sei mit einigen Kriminalbeamten befreundet), doch durch die unbeschönigte Darstellung von Polizeiganoven in den betroffenen Kreisen sich überaus unbeliebt machte, widersetzte sich dem Vorschlag der Rechtsanwälte, den Text seines Stückes dem Generalstaatsanwalt zur vorherigen Prüfung einzureichen, um dem Theater einen möglichen Prozeß wegen Mißachtung der Gerichte zu ersparen. Die Rechnung ging auf: sein Stück mußte von offizieller Seite als ‘reine Fiktion’ anerkannt werden, wenn sich die Behörden nicht selbst belasten wollten durch die Bestätigung, daß die Parallelen zwischen ‘Operation Countryman’ und ‘Operation fauler Apfel’ nicht zu leugnen und kaum so “zufällig” waren, wie man vorgab.

Die Beamten der Untersuchungskommission ‘Bad Apple’ stellen fest, daß nicht nur Polizisten der unteren Ränge Bestechungsgelder von Kriminellen erhalten, wichtiges Beweismaterial über Verbrechen unterschlagen und dafür Unbeteiligten zugespielt, sich an den Erträgen von Raubüberfällen beteiligt oder solche Überfälle mitgeplant haben, sondern daß – wie einer der Überführten, die man zum Reden bringt, den staunenden Kollegen aus der Provinz verrät – nahezu alle Polizisten bis in die höchsten Ränge hinein das gewinnbringende Spiel seit vielen Jahren mitspielen.

Um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden, entschließt sich der Generalstaatsanwalt in Absprache mit dem Innenminister zum Abbruch der Untersuchung und Vertuschen der Vorgänge. Nur drei kleineren Beamten wird der Prozeß gemacht. Im übrigen wird verfügt, daß alle weiteren Anschuldigungen von Polizisten der Scotland Yard in Zukunft wieder bei dem Beschwerdebüro von Scotland Yard eingereicht werden sollen.

Mit Ausnahme der ungeheuerlichen Unterstellung, die Kommission hätte Beweise gehabt für Korruption selbst der höchsten Polizeioffiziere, habe sie jedoch nicht verwenden dürfen, sowie der Hinweis auf die Verdorbenheit der gesamten Truppe, ähneln die Vorgänge des Stückes den über die ‘Operation Countryman’ bekannten Tatsachen auf geradezu erschreckende Weise. Und während das Recht aus guten Gründen noch immer in dubio pro reo entscheidet und Personen für unschuldig halten muß, bis die Gerichte das Gegenteil bewiesen haben, wird jeder nicht ganz und gar weltfremde Mann sich der immer wieder gemachten Erfahrung auch hier nicht verschließen können, daß Mißstände, von denen wir hören, in Wirklichkeit sehr viel weitergehen, als wir für möglich halten; so daß wir mit dem Autor und seinem Stück sympathisieren und den Mut bewundern, mit dem er seit Jahren das Ausmisten des Augiasstalles Polizei betreibt, selbst wo wir fühlen, daß er die Kraft seines Argumentes durch Überlastung schwächt und all denen, die noch so tun, als könne nicht sein, was nicht sein darf, die Abwehr der Frage leicht macht, ob und wie weit man die Wahrheit über das Ausmaß an Korruption in unserer Gesellschaft uns wissentlich vorenthält. (Inszenierung: Max Stafford-Clark)

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