die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1978
Text # 129
Autor Trevor Griffiths
Autorenporträt
Titel Occupations/The Party/Comedians
Ensemble/Spielort Royal Shakespeare Company/National Theatre/Nottingham Playhouse/Old Vic Theatre
Inszenierung/Regie Richard Eyre
Hauptdarsteller Jonathan Price
Sendeinfo 1978.06.23/Suhrkamp Verlag (Vorwort zur deutschen Übersetzung des Stückes ‘Comedians’)

Trevor Griffiths gilt als eines der stärksten Talente unter den jüngeren Bühnenautoren in Großbritannien. Seine Stücke reflektieren Erfahrungen eines politischen Bewußtseins, das die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen wir leben, an den persönlichen Qualitäten und Konflikten von Menschen studiert.

Sein im Herbst 1971 von der Royal Shakespeare Company vorgestelltes Schauspiel ‘Occupations’ bezog sich auf die Hintergründe der Ereignisse des Jahres 1920, als die norditalienischen Arbeiter unter der Führung von Antonio Gramci ihre Fabriken besetzten und die Produktion in eigene Regie zu übernehmen versuchten. Das Stück beleuchtete den Gegensatz zwischen dem Willen zur Revolution und ihrer praktischen Realisierbarkeit, zwischen humanistischer Idee und politischer Macht, einen Konflikt, der sich nicht nur in den ideologischen Auseinandersetzungen abzeichnet, sondern vor allem an den Charakteren selbst. In der Gegenüberstellung von Gramci, dem an den ungerechten Verhältnissen leidenden, sensiblen Intellektuellen, und Kabak, dem realpolitisch kühl kalkulierenden Funktionär der Moskauer Schule, wird der ideologische Konflikt personalisiert.

‘The Party’, uraufgeführt 1973 im Londoner Nationaltheater, erschien als Versuch eines linken Intellektuellen zu beschreiben, warum die politische Linke in England zur Revolution nicht taugt. Das Stück mit dem doppeldeutigen Titel spielte vor dem Hintergrund der politischen Unruhen des Jahres 1968. Während sich in Frankreich Studenten und Arbeiter mit DeGaulles Polizei blutige Straßenschlachten liefern, trifft sich in London in der luxuriösen Wohnung eines Fernsehproduzenten eine Gruppe von Leuten, um über gemeinsame Aktionen, die Möglichkeit einer internationalen sozialistischen Revolution, zu beraten. Hauptfiguren des Meetings sind ein linksliberaler Dozent der London School of Economics und der Vorsitzende der Revolutionären Sozialistischen Partei, ein erfahrener Kämpfer alten Schlages. Beide ergreifen die Gelegenheit, ihre gegensätzlichen Standpunkte ausführlich darzulegen. Der eine besteht darauf, Marx und die Idee von der totalen Revolution seien überholt, die klassische Theorie müsse revidiert werden, Praxis der Revolution bedeute heute Demonstration, Agitation, Aufklärung. Der in jahrzehntelangem politischen Kampf gehärtete Altkommunist widerspricht dieser These mit einer vernichtenden Attacke gegen intellektualistische Vernebelung der Klassenkampfsituation, gegen Romantizismus und mangelnden Sinn für wahre Solidarität, Disziplin und Opfergeist. “Ihr sucht nur nach Sündenböcken für eure persönliche Frustration”, meint der Alte, “es macht euch Spaß, die Hand zu beißen, die euch das Futter reicht, aber ihr beißt sie nicht ab! Revolution ist kein Glücksspiel. Revolution ist Kampf, Kampf der Partei”.

Die Argumente beider Kontrahenten scheinen als Anleitung zur Lösung der gegebenen gesellschaftlichen Konflikte gleichermaßen ungeeignet zu sein. Die dritte Zentralfigur des Stückes, ein erfolgreicher Fernsehautor, der sich, verzweifelt über die politische Wirkungslosigkeit seiner Stücke, mit Alkohol und sarkastischen Sprüchen zu trösten versucht, scheint Trevor Griffiths’ eigene Frustration zu artikulieren, die Ratlosigkeit eines Mannes, welcher unter den gesellschaftlichen Verhältnissen leidet, an dem Bewußtsein der Notwendigkeit revolutionärer Veränderung, doch keinen konkreten Weg mehr sieht, der dahin führen könnte.

‘Comedians’, uraufgeführt 1975 im Nottingham Playhouse und noch im Herbst desselben Jahres ins Londoner Old Vic Theatre überführt, wurde in England zum viel umjubelten Erfolg. Das Stück handelt vom Ursprung des Lachens, dem Wesen der Komik und von der Kunst der Music-Hall-Komödianten, die man heute fast nur noch in den Arbeiterclubs der mittel- und nordenglischen Industriestädte finden kann. Darüber hinaus aber ist es – wennzwar vielleicht nicht sofort erkennbar – ein eminent politisches Stück, das von der Annahme ausgeht, daß die bedeutendsten Komiker der englischen Music-Hall-Tradition aus proletarischem Milieu stammten, daß ihre Komik Ausdruck sozialer Frustration war, ihr Witz auf gesellschaftliche Veränderung zielte und daß die größten Komiker nicht als harmlose Spaßmacher, sondern vielmehr als revolutionäre Clowns gesehen werden müssen.

Griffiths hat ein Modell gefunden – eine Abendschulklasse für angehende Komiker in Manchester – an dem die verschiedenen Formen opportunistischer Anpassung an die herrschende Mentalität des Publikums, seine Neigung zum Eskapismus, zur Verdrängung des Realitätsbewußtseins, zur Flucht ins harmlose Gelächter als Unmoral, als Verrat an der gesellschaftlichen Wahrheit verstanden werden können. In diesem Sinne weitergedacht, ist ‘Comedians’ in der Tat ein ‘Stück über Revolution’, wie einer der Kritiker formulierte, “genauer, über die politischen Alternativen der Arbeiterklasse – zwischen schlimmster reaktionärer Kompromißbereitschaft und, in Griffiths’ eigenen Worten, ‘Leninismus’, mit allen Spielformen dazwischen”.

Im Zentrum des Stückes steht wiederum der Konflikt grundsätzlich verschiedener Haltungen und Charaktere. Eddie Waters, der alternde Komödiant, versucht seinen Schülern, über die reine Technik der Produktion komischer Wirkungen hinaus, beizubringen, daß es nicht nur auf den Witz selbst, die Pointe ankomme, sondern vor allem auf das, was dahinter liege. “Der echte Komödiant ist ein mutiger Mann. Er wagt zu sehen, was sein Publikum nicht sehen, nicht zeigen will. Und was er sieht, ist eine Art Wahrheit über Menschen, über Situationen ... Der Witz eines Komödianten muß mehr leisten als Spannungen zu lösen, er muß den Willen und das Bedürfnis wecken, die Situation zu verändern”. Die Übungen, die Waters seinen Schülern abverlangt – Spiele mit Wortvariationen, Zungenbrechern und Reimen, Parodien, Klischees und klassischen Vorurteilen sowie das komische Erzählen alltäglicher Geschichten – wollen das Gefühl für komische Wirkungen entwickeln, die jedoch stets auf Humanität, der Liebe zum Menschen gründen sollten.

Challener, der Londoner Agent, dem Eddies Schüler in einer Bingohalle ihre einstudierten Nummern vorspielen, vertritt dagegen die Haltung des kommerziellen Opportunisten :”Wir suchen keine Philosophen, sondern Spaßmacher. Wir sind Diener, sonst nichts. Das Publikum verlangt etwas, wir bieten es. Jeder gute Komiker kann sein Publikum an der Nase herum führen – aber nur in der Richtung, in welche die Leute gehen. Und das ist, ganz einfach Flucht aus der Wirklichkeit, ‘escape’”.

Im ersten Akt bereiten sich Waters und seine Schüler auf den großen Auftritt vor, der als Sprungbrett dienen soll zu Ruhm und Geld. Der zweite Akt zeigt die Vorstellung, der dritte kritische Analyse und Abrechnung. Die beiden kompromißbereitesten Kandidaten ernten Anerkennung und ein Vertragsangebot des Agenten, die übrigen gehen leer aus. Der von allen begabteste Schüler, ein Lastwagenfahrer, der sich kurz zuvor entschlossen hatte, die vorbereitete Nummer gegen eine makabre Szene mit zwei Schaufensterpuppen auszutauschen, wird zynisch darüber belehrt, daß anarchische Exzesse mit der Kunst der Spaßmacher nichts zu tun hätten. Jonathan Price in der Rolle des aus der Reihe tanzenden Meisterschülers, der im Stück eine Schlüsselfunktion hat, lieferte in der britischen Erstinszenierung unter der Regie von Richard Eyre die virtuos vorgetragene Studie eines genialen jungen Mannes, dessen radikale Redlichkeit umgeschlagen ist in zerstörerischen Haß auf die Repräsentanten der gesellschaftlichen Macht und ihn in Grenzbereiche des Wahnsinns treibt.

“Price vertritt in meinen Augen die gewagtesten und kraftvollsten Aspekte der Arbeiterklasse”, erklärte Trevor Griffiths in einem Gespräch. “Was er sagt, ist heute nicht sehr populär”. Die von Price gespielte Person versucht, sich der Verführung zur Willfährigkeit, der Tendenz zur opportunistischen Anpassung mit Gewalt zu widersetzen. “Er ist unversöhnlich hart und entschlossen, entdeckt sich selbst und geht die ersten Schritte in Richtung auf die Wiedergewinnung seiner selbst ... Das Stück sagt: Hier stehen wir – was soll nun geschehen? Ich glaube nicht”, meint Griffiths, “daß im Stück selbst eine Antwort darauf gegeben wird. Ich glaube, es sagt nicht mehr als: Es gibt ein Potential, die Möglichkeit, etwas ganz Großes zu tun. Und diese Frage stellt es dem Publikum, das bereit ist, nach einer Antwort zu suchen, oder nach dieser Antwort verlangt ... Price sagt am Ende des Stückes: Die Menschen werden erst dann als Menschen anerkannt werden, wenn sie die Anerkennung verlangen. Es ist der Gedanke, daß man etwas fordern muß, statt zu verhandeln, zu manipulieren, das System zu schmieren oder auf andere Art einfach erfolgreich sein zu wollen. Du beginnst wie Price, mit einer massiven Absage an all die Verlogenheiten, all die üblichen Anordnungen, und du beginnst, dich selbst zu prüfen, vielmehr das, was von dir noch geblieben ist, nachdem das System alles getan hat, was es konnte, dich von dir selbst zu entfremden, und du schaust dir an, was dann noch übrig ist, und du erkennst das Potential, das es noch gibt, das Genie, wenn du willst, das Talent, die Kraft zur Lösung von Problemen, und du machst davon Gebrauch und organisierst sie oder erziehst sie und entwickelst Willen und Bewußtsein”.

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