Es fällt schwer zu entscheiden, ob es an der Übersetzung lag, die einer der Londoner Kritiker “gestelzt und zugleich blumig“ nannte; an der Regie, die einer als “von edler Einfachheit“, ein anderer als “minimalistisch“ beschrieb; am Darsteller der Titelrolle, die der eine als “würdig“ empfand, ein anderer als “seicht, pedantisch und monoton“; an den dramatisierten Begebenheiten oder ihrer literarischen Gestaltung – daß mir der ‘Prinz von Homburg’ in seiner ersten Londoner Inszenierung preußischer denn je erschien, englischer Mentalität so fern, daß die Mißverständnisse, die das Stück auslöste, einleuchtender waren als der komplexe Gehalt des Werkes.
John Burgess läßt das Stück auf dekorationloser Bühne vor dem Prospekt eines blauweißen Äthers spielen. Die Szenen folgen geschwind aufeinander, referieren eilig die äußeren Ereignisse, ohne sich um deren geistige oder psychologische Vertiefung zu kümmern. Haltung und Sprache der handelnden Personen wirken (mit Ausnahme der durch ihre Menschlichkeit überzeugenden Figur des Kurfürsten) einerseits spröde, andererseits so schlecht theatralisch gekünstelt, daß man den Eindruck gewinnt, dieser Text sei in seiner Bedeutung historisch abgetan, geographisch begrenzt und habe mit der uns vertrauten Umwelt, den uns betreffenden Fragen so gut wie nichts mehr zu tun. Die “sehr komplexe” Struktur des Stückes, auf die die Zeitung ‘Observer’ in einer Vorbesprechung zur Premiere des Nationaltheaters verwiesen hatte, die Vielfalt der Themen (“Rebellion des Individuums gegen Gesetz und Ordnung, Gefühl gegen Vernunft, Patriotismus und wahre Loyalität, die Durchdringung von Traum und Wirklichkeit“) schienen dem Regisseur entgangen zu sein. Das Stück wirkt mit einem Mal flach. Und wenn das Ensemble an die Rampe herantritt und den berühmten Schlußsatz “In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!” als Sprechchor ins Publikum schmettert, verläßt man mit zwiespältigen Gefühlen den Saal.
Die Kritiker lobten einhellig, daß das Nationaltheater endlich Gelegenheit gebe, den “kaum bekannten deutschen Autor Heinrich von Kleist“ kennen zu lernen. “Vernünftigerweise präsentiert man das Stück in einer Studio-Inszenierung, statt als militärisches Spektakel“, hieß es in der ‘Times’. Die “ vielfältigen Ironien“ des Textes seien leider weitgehend unerkannt geblieben. – “Es überrascht nicht zu hören, daß Kafka ein großer Bewunderer Kleists war”, schrieb der Kritiker des ‘Guardian’. – Der Kollege der ‘Financial Times’ meinte zur Titelrolle: “Es ist wie eine Kreuzung zwischen Hamlet und Hofmannsthals ‘Schwierigem’”.
Der Kritiker der ‘Sunday Times’ stellt fest, die in freien Versen verfaßte Übersetzung sei unzureichend. “Hätte man den (englischen) Text in jambischen Versen geschrieben, wäre Schauspieler und Regisseur die Aufgabe erleichtert worden, weil das Publikum keine normale Konversation erwartet hätte ... Wäre die Sprache mehr formalisiert gewesen, hätte die Inszenierung weniger formalisiert sein können – was zu ihrem Vorteil gewesen wäre”.
Im “Observer’ las man: “Das Stück wurde zum langsamen, verwirrenden Melodrama ... Die Figuren stellen sich einfach auf und sprechen ihre Sätze, im Falle von Patrick Drurys Prinz mit sehr wenig Ausdruck. Man könnte behaupten, dies sei eben eine schlicht auf den Text bezogene Inszenierung, doch wie sollte das sein, wenn wir den kleistschen Wahnsinn ganz vermissen ... Was immer das Werk enthalten mag, eine ernste vor-brechtsche Soldatenchronik ist es gewiß nicht”.
Der Kritiker der Abendzeitung ‘The Standard’ schließlich sah sich gemüßigt, wieder einmal anti-deutsche Ressentiments zu schüren. Unter der idiotischen Überschrift “Heil, Sturm!” hieß es: “Adolf Hitler war zwar kein besonderer Theaterfreund, aber ich vermute, daß der ‘Prinz von Homburg’ die Art von Stücken gewesen wäre, die er sich als Nazi-Drama gewünscht hätte ... Die wilde teutonische Ideologie des Sturm und Drang hallt darin wider, der Romantizismus des persönlichen Opfers, die Pflichtergebenheit, der Triumph des preußischen Militarismus und vor allem der gebieterische Ordnungsgeist“. Und später: “Kleist schreibt in dem graziös blumenreichen Stil, In welchem Frauen als Göttinnen der illustren Sphäre umschrieben und Zungen mit schöner Beredsamkeit geschmückt werden”.
Die Mißverständnisse kamen nicht von ungefähr. Der Kritiker der ‘Financial Times’ beschloß seinen Bericht mit den Worten: “Kleist ging uns auf traurige Weise verloren”.