“Did you know / Marilyn Monroe?” – mit diesem unübertrefflich dümmlichen Knittelvers beginnt das teuerste Musical, das je auf eine Londoner Bühne kam. Die rhetorische Frage gibt einem Chor von Stimmen das Stichwort zu der Behauptung: Keiner kannte sie besser als ich!, eine Behauptung, die das Stück zu widerlegen sucht mit der These: Keiner von denen, die sie zu kennen glaubten, kannte das Geheimnis ihrer Persönlichkeit.
Gut denn, hören wir, was uns die Flut von Büchern, Theaterstücken, Filmen und Balletten zum gleichen Thema bislang unterschlagen hat. Doch wer so naiv wäre zu erwarten, daß auch ein Musical wenigstens dem eigenen Anspruch gerecht zu werden bemüht sein müsse, verlangt offenbar zu viel. Seine amerikanischen Produzenten schienen davon überzeugt zu sein, daß der Name Marilyn genüge, um das Publikum in so großen Scharen anzulocken, daß der hohe Einsatz die gewünschte Rendite bringen würde. Über 1 Million Pfund (etwa 4 Millionen Mark) war ihnen das Risiko wert. Sie hatten gehofft, die Inszenierung nach einem Erfolg in London zum Broadway überführen zu können, wo sich britische Theaterimporte seit einigen Jahren größter Beliebtheit erfreuen. Daß diese Rechnung aufgehen wird, hält wohl inzwischen keiner der Beteiligten mehr für möglich.
Jacques Wilson, der das Libretto schrieb, und Mort Garson, der es vertonte, scheinen gar nicht erst versucht zu haben, hinter die Oberfläche der allen bekannten Story zu blicken. Sie begnügen sich mit der kursorischen Andeutung der Stationen auf Marilyns Lebensweg, liefern die kitschige Moritat von jenem armen Mädchen, das sich vornimmt, schöner und begehrter zu sein als alle anderen und diesen Traum wahr werden läßt.
Alles an diesem Musical wirkt abgestanden, seicht und vorgestrig. Die Musik ist so unbedeutend, daß keine einzige Melodie in der Erinnerung haften bleibt. Und daß der Regisseur und Choreograph Larry Fuller auch Choreograph des musiktheatralischen Dauerbrenners ‘Evita’ war, Stephanie Lawrence in der Rolle Marilyns zuletzt auch die Titelrolle des Andrew-Lloyd-Webber-Stückes sang und auch Bühnenbildner David Hersey und die Kostümbildnerin Tazeena Firth zum erfolgreichen ‘Evita’-Team gehörten, scheint kein Zufall gewesen zu sein. Denn allzu vieles erinnert an die ‘Evita’-Inszenierung von Hal Prince, vor allem die Gestalt eines Erzählers, der sich als Kamera zu erkennen gibt und behauptet, er sei der einzige Partner gewesen, zu dem Marilyn eine dauerhafte Liebesbeziehung gehabt habe; eine Rolle, die in Aussehen und Gebaren so sehr an David Essex’ Che-Guevara-Figur denken läßt, daß man geradezu von einem Plagiat sprechen möchte.
Die überaus einfallslose Inszenierung versetzt in der letzten Szene ironischerweise sich selbst den Todesstoß, wenn sie uns in einer Folge von Filmausschnitten die echte Marilyn Monroe vorführt und dabei verrät, wie weit das schwache Abbild sein Vorbild verfehlt.
“Dieses wahrhaft klägliche Musical”, schrieb der Kritiker der ‘Financial Times’ nach der Premiere, “ist ein neuer tölpelhafter Versuch der nekrophilen Heiligenverehrung, der uns die Tragödie hinter der Marilyn-Monroe-Legende erklären möchte und nur, wie alle anderen, auf ihrem Grabe herumtrampelt. Der Fall scheint symptomatisch für die abscheuliche Art von Rache, die wir üben an Stars, deren Anziehungskraft wir nicht genau definieren können”.