die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1971
Text # 10
Autor Jane Arden u. Gruppe ‘Holocaust’
Theater
Titel Holocaust – A New Community For Freaks, Prophets and Witches
Ensemble/Spielort Open Space Theatre/London
Uraufführung
Sendeinfo 1971.05.20/ BBC German Service/Kulturkaleidoskop

“‘Holocaust’ ist das Ende eines Albtraums“. Mit diesen Worten beginnt ein Pamphlet von Jane Arden, der Gründerin und Leiterin eines neuen Frauentheaters. Sie schreibt: “Der Dialog zwischen Mann und Frau ist – sofern ein Gespräch zwischen Menschen überhaupt möglich ist – offensichtlich der wichtigste Dialog, aber es kann keine wahre Sprache der Liebe, keine Erotik in diesem Sinne geben, bevor die Frauen einige Zeit für sich selbst gewesen sind. Nicht wie Nonnen, die sich völlig aus der Gesellschaft zurückziehen, aber doch so, daß sie Klarheit gewinnen können über ihre Situation und erkennen, wer sie sind. Die Geschlechter brauchen wirklich eine Zeit der Trennung. Keineswegs für immer“.

In einem Augenblick, da die internationale Frauenbefreiungsbewegung (hierzulande ‘Women’s Lib’ genannt) lawinenartig wächst und innerhalb weniger Monate bereits hundertausende von Mitgliedern gewonnen hat, lag die Gründung des ersten regulären Frauentheaters in England geradezu in der Luft. Die Geschichte der Subordination der Frau unter der Herrschaft des Mannes ist fast so alt wie die menschliche Kultur selbst, die die Erinnerung ans prähistorische Matriarchat in kaum mehr erreichbare Tiefen des Unterbewußten verdrängte. Nach dem vom Christentum übernommenen altjüdischen Mythos schuf Gott Eva aus einer Rippe des Adam, woher sich sozusagen naturgesetzlich die Forderung ableiten ließ, daß die Frau dem Manne untertan zu sein habe. Im Koran heißt es ausdrücklich, die Frau sei von niedererer Art. In verschiedener Gestalt haben sich Jahrtausende alte Vorurteile bis in unsere Tage unverändert erhalten.

In England weckt die heutige Frauenbewegung vor allem die Erinnerung an den Kampf der Suffragetten in der viktorianischen Ära, den Kampf der Frau um Gleichheit vor dem Gesetz und soziale Mitbestimmung. Zwar wird heute die Gleichberechtigung in den meisten Ländern der Erde gesetzlich garantiert. Daß die Ausbeutung und Benachteiligung der Frau in unserer maskulin beherrschten Welt damit noch keineswegs beseitigt ist, dürfte jedoch inzwischen auch den arrogantesten Vertretern des männlichen Geschlechts aufgegangen sein – nicht zuletzt dank ‘Women’s Lib’ und der durch sie in der Öffentlichkeit provozierten Reaktionen.

‘Holocaust’ ist vor diesem Hintergrund entstanden, im Sinne Jane Ardens als Alternative zum Theater der Männer, in welchem die Frau als Schauspielerin, wie in anderen sozialen Bereichen, nicht zur Entfaltung ihrer eigenen Möglichkeiten gelange, stattdessen immer noch als manipulierbares Objekt autoritärer männlicher Regisseure fungiere.

Jane Ardens ‘Vagina Rex und der Gasherd’, das vor einigen Jahren noch im alten Arts Lab im Drury Lane vorgestellt wurde, war eines der ersten Stücke, die thematisch die Rolle der Frau in der heutigen Gesellschaft behandelten. Die Erfahrungen der Jahre danach hatten die Autorin davon überzeugt, daß sich ihre Vorstellungen nicht mit einer Gruppe mehr oder weniger zufällig und nur für kurze Zeit zusammengeführter Personen verwirklichen ließen. So versammelte sie eine Anzahl von jungen Frauen und entwickelte mit ihnen gemeinsam das Material für “Eine neue Gemeinschaft für Anomale, Propheten und Hexen“ – so der Titel der dramatischen Show, die ‘Holocaust’ nun im Londoner Open Space Theatre vorstellt.

Es ist eine schauerliche Phantasmagorie über die Not und Verzweiflung geschundener Kreaturen, die im Wahnsinn die seelischen Qualen reflektieren, bis ihr Erinnerungsvermögen im Irrenhaus durch Lobotomie und Elektroschocks gelöscht wird, eine Gehirnwäsche, die von allen Leiden kuriert und von der behandelten Person kaum mehr als die leere Hülse übrig läßt, ein menschliches Wrack. Die Frauen, die sich an dieser Grenzstation begegnen, waren nicht in der Lage, sich in die Rolle zu fügen, die die Gesellschaft ihnen zuwies. Es sind hoffnungslose Fälle, armselige Versager, die vor ihrem Ende in schauerlichen Halluzinationen noch einmal erleben, was ihren Geist zerstörte.

Unter den zehn Mädchen der ’Holocaust’-Gruppe gibt es nur eine Schauspielerin mit entsprechender Ausbildung. Die übrigen kommen aus anderen Berufen, etwa von der Musik oder den bildenden Künsten. Dennoch kann ich mich nicht erinnern, jemals eine Theateraufführung gesehen zu haben, bei welcher die Darsteller in solchem Maße – und viel mehr als sich mit wenigen Worten beschreiben läßt – wie ein perfekt aufeinander eingespieltes Kammerorchester funktionieren.

Jane Arden schreibt: “Man hat uns beigebracht, manipulierbare Gedanken zu bewundern, engmaschige Schachspiele, so daß der Geist sich fortwährend mit solchen Konzeptionen, Vorstellungen und Problemen befaßt, wogegen die Idee, sich einfach hinzulegen und den Geist aufzutun – was nämlich der Frau zu eigen ist– verächtlich gemacht wird“. Genau dies aber geschieht bei der Aufführung der ‘Holocaust’-Gruppe: die Frauen legen die sozialen Verkleidungen ab und stellen in metaphorischer oder sinnbildlicher Form ihre persönlichen Erfahrungen vom Wesen des Weiblichen dar.

Daß sie dabei gewissermaßen das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn sie davon ausgehen, daß sich der Anspruch der Frau mit rationalen Argumenten nicht verfechten lasse, deutet wohl noch auf den weiblichen Minderwertigkeitskomplex, den ihnen die Männer eingeredet haben, die da behaupten, das Denken sei vor allem Männersache.

Was im übrigen mich nicht hindert, die Frauen von ‘Holocaust’ zu bewundern.

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