die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1978
Text # 133
Autor Steve Gooch
Theater
Titel The Women Pirates
Ensemble/Spielort Aldwych Theatre/Royal Shakespeare Company/London
Inszenierung/Regie Ron Daniels
Uraufführung
Sendeinfo 978.08.02/DLF 1978.08.03/ORF Wien 1978.08.04/SWF Kultur aktuell/RB/Nachdruck: Darmstädter Echo

Die Royal Shakespeare Company, Englands erfolgreichstes Schauspielensemble und im Hinblick auf die Anzahl der Inszenierungen und die Vielseitigkeit des Programms auf vier Bühnen mit einer Subvention von nur vier Millionen Mark wohl das am ökonomischsten arbeitende Repertoiretheater der Welt – die Royal Shakespeare Company befindet sich seit Jahren auf einem künstlerischen Höhenflug, der immer wieder überrascht, zumal er das Ergebnis einer publikumswirksamen, doch keineswegs publikumsgefälligen Spielplanpolitik ist, der verdiente Erfolg also eines mit künstlerischem Ehrgeiz arbeitenden Ensembles, dessen nahezu unverändert hohes schauspielerisches Niveau, vor allem in Inszenierungen zeitgenössischer Stücke, deutschsprachige Bühnen ähnlicher Größenordnung mit neidvoller Bewunderung erfüllen muß. Die beachtliche Reihe eindrucksvoller Inszenierungen neuer Werke von jungen britischen Autoren im kürzlich eingerichteten Werkraumtheater ‘The Warehouse’ muß in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben werden.

Umso erstaunlicher ist die jüngste Premiere im Londoner Aldwych Theatre, die Uraufführung des Stückes ‘Die Frauenpiraten’ von Steve Gooch, dem man den Durchbruch zur Bühne des großen Hauses der RSC nach den Jahren engagierter Arbeit mit kleinen Gruppen im sogenannten Fringe-Theatre-Bereich von Herzen gönnt.

Gooch hat sich als Übersetzer von Brecht, Harald Müller, Faßbinder und Kroetz einen Namen gemacht. Von seinen eigenen Stücken war vor allem ‘Female Transport’ (Frauentransport), 1973 uraufgeführt im ostlondoner Half Moon Theatre, ein viel beachteter nationaler Erfolg. Die Kritiker lobten die Fähigkeit des Autors, dokumentarisches Material mit poetischer Phantasie, klarem Blick für soziale Verhältnisse und konsequentem Engagement für die gesellschaftlich Benachteiligten zu fesselnden Theaterstücken verarbeiten zu können.

Auch Goochs neues Stück ‘Die Frauenpiraten’ geht zurück auf historische Figuren und Geschehnisse, wobei es ihm darauf ankommt, “daß die Menschen von heute in den Ereignissen von damals die Probleme erkennen, denen sie noch immer ausgesetzt sind”.

Steve Gooch hat seinen Brecht studiert mit heißem Bemühen und sensiblem Verständnis. Seine Übersetzungen Brechtscher Stücke in die englische Sprache bleiben dem Original so nah wie möglich und wirken doch selbstbewußt, frei und überzeugend im Ausdruck wie im poetischen Duktus. Goochs eigene Stücke waren stets unverkennbar gezeichnet vom Einfluß des Brechtschen Theaters, ohne daß es ihnen deshalb an Originalität oder poetischer Selbstständigkeit gemangelt hätte.

Die von der Royal Shakespeare Company soeben uraufgeführten ‘Frauenpiraten’ bleiben dagegen weit hinter den Erwartungen zurück, die man an den Autor und an das künstlerische Niveau des Ensembles richten durfte.‘The Women Pirates’ ist ein abstruses Gemisch aus historischem Melodrama, modernem Musical und plakativem Agitprop zum Thema Frauenemanzipation, das sich gedanklich, motivisch, formal und musikalisch so eng an sein Vorbild Brecht, einige seiner Lieblingsmotive aus den Dreißiger Jahren, die episch-dramatische Struktur seiner Stücke wie ihre Darstellungstechnik anlehnt, ja selbst den Stil der Bühnenmusiken von Dessau und Eisler, Melodik, Rhythmus und Instrumentation passagenweise so getreulich nachzuahmen versucht, als habe man das Exempel statuieren wollen, daß man Theater im Geiste Brechts machen kann, ohne sich seiner eigenen Stücke bedienen zu müssen. Ein zweifellos richtiger Gedanke, nur daß Autor und Regisseur in diesem Fall, von allen guten Geistern der Kunst des Theaters verlassen, nurmehr Klischees anzubieten haben.

Umschweifig und von Songs und chorischen Szenenansagen unterbrochen, erzählt das Stück die historisch ungenau belegte Geschichte zweier junger Frauen am Anfang des 18. Jahrhunderts, beides uneheliche Kinder, von denen die eine als Junge erzogen wird und später als Landsknecht der englischen Truppen in den flandrischen Kriegen kämpft, die andere, Tochter eines irischen, nach Amerika ausgewanderten Rechtsanwalts, unter Indianern und Schmugglern aufwächst und dabei ebenfalls lernt, sich wie ein Mann zu behaupten. Beide schließen sich einer Piratenkommune an, die im Bereich der karibischen Inseln ihr Unwesen treibt, bis sie gefangen genommen und in Jamaika vor Gericht gestellt werden, wo sie dem Galgen nur entgehen, indem sie erklären, sie seien schwanger.

Die Moral von der Geschichte: Auch Frau ist Mann, und wenn es drauf ankommt, ein besserer Mann. Denn die Männer, die im Stück den Ton angeben und die Geschicke lenken – spießige Sergeanten, haarige Seebären, feige Offiziere, korrupte Richter – sind den schlagfertigen Weibern körperlich und geistig weit unterlegen. Weibliche Tücke triumphiert über männliche Überheblichkeit.

Nun, es ist gewiß schön und gut, daß sich immer noch Männer für die Sache der Frau auf solche oder andere Weise ins Zeug legen. Denn in der gesellschaftlichen Praxis, auf die sich Gooch ausdrücklich bezieht, ist die Frau, trotz der Gesetze, die dies garantieren sollen, ja noch lange nicht in jedem Sinne gleichberechtigt. Doch das große Emanzipationsgeschrei, das die Frauen mit Unterstützung der progressiver denkenden Männer angestimmt haben, hat inzwischen auch zu grotesken Extremen der anderen Seite geführt und, wie Psychotherapeuten bestätigen, zu einer tiefen Verunsicherung vieler Frauen im Hinblick auf ihr Verhältnis zum Mann. Der Protest der unterdrückten Frau ist zur Pose geworden.

Und posenhaft pathetisch und unfreiwillig komisch wirken denn auch die Reden, vor allem einige der Lieder der Piratenfrauen, wenn sie Arm in Arm mit verklärtem Ausdruck und kämpferischer Gebärde zum Refrain sich vereinen: “Aber nun habe ich einen Genossen, eine Schwester, die mir nah ist” und ähnlichem Kokolores, bei dem man das Gefühl hat, daß die Schauspieler der Royal Shakespeare Company, die man selten so hilflos und unorganisiert gesehen hat, sich ebenso dumm vorkommen müssen wie das Publikum, dem man die chaotische Aufführung unter der Leitung des jungen Regisseurs Ron Daniels zumutet.

Das ganze also ein erstaunlicher Versager, der, wenn nicht alles täuscht, unter anderem auch der langen Reihe von Versuchen zuzuordnen ist, auf die wir unter dem Titel ‘Mißverständnisse des britischen Theaters im Umgang mit Brecht’ immer wieder hingewiesen haben.

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