die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1978
Text # 134
Autor Edward Bond
Theater
Titel The Woman
Ensemble/Spielort Olivier Theatre/National Theatre/London
Inszenierung/Regie Edward Bond
Uraufführung
Sendeinfo 1978.08.11/DLF/SWF Kultur aktuell/RB 1978.08.12/ORF Wien/Nachdruck: Darmstädter Echo

Es hat bekanntlich lange gedauert, bis Edward Bond als Autor in seinem Heimatland anerkannt wurde. Die Kritiker haben es ihm nicht leicht gemacht. Doch Bond hat es auch seinem Publikum nie leicht gemacht. Seine Stücke sind gewichtig und anspruchsvoll und muten dem Zuschauer mehr zu, als er in der Regel zu leisten gewillt ist: an Nervenkraft, Geduld und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit so schwierigen Fragen wie Krieg und Frieden, Recht und Unrecht, Freiheit und Macht. In der Negativität des Ausdrucks, der drastischen Darstellung von Grausamkeiten, die Menschen an Menschen begehen, erhielt sich – gegen den Anschein von Verzweiflung über den heillosen Zustand der Welt – die Hoffnung auf Veränderung der Regeln des Zusammenlebens. Man mißverstand, warf dem Autor vor, er schwelge in Scheußlichkeiten, resigniere vor der Übermacht des Bösen. Die Mißverständnisse blieben nicht ohne Folgen. Bond ließ sich, so scheint es, verführen, jener Hoffnung auf die Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderung direkteren, positiveren Ausdruck zu geben – und siehe da, die Botschaft wirkte naiv.

“Wir dürfen nicht nur Problemstücke schreiben; wir müssen anfangen, Antwort-Stücke zu schreiben – zumindest Stücke, die zu klareren, praktischeren Antworten führen ... Die Antworten sind nicht immer einfach, leicht und eindeutig, aber das Ziel ist klar – die sozialistische Gesellschaft”, ließ Bond sich vor kurzem vernehmen. Die Äußerung, von vielen sicher verstanden als Zeichen eines fortgeschrittenen politischen Bewußtseins, erscheint mir zugleich als Ausdruck einer Krise. Sollte Bond wirklich glauben, daß Kunst den Fortschritt der realen Gesellschaft, deren negativer Ausdruck sie ist, durch eine positivere, ‘konstruktive’ Haltung realiter fördern kann? Verfällt sie dabei nicht selbst zu einer gesellschaftlichen Funktion, wird Mittel zum Zweck?

Wie immer man darüber denken mag, sein neues Stück mit dem Titel ‘The Woman’, soeben uraufgeführt im Olivier Theater des Nationaltheaters, wird schwerlich in den Verdacht geraten, eine eindeutige politische Position zu propagieren, schon weil es in dieser Inszenierung gedanklich ziemlich wirr erscheint und als Theaterstück leider gar nicht überzeugt.

Die Problematik verrät sich bereits im vielsagend allgemein gehaltenen Titel ‘Die Frau – Szenen von Krieg und Freiheit’. ‘The Woman’ ist ein Stück über die Frau und ihr Verhältnis zum Krieg, den Männer führen, besessen von fixen Ideen und Eitelkeiten, ohne Sinn und Verstand. Es spielt in der Zeit des Trojanischen Krieges, der allerdings mit dem uns bekannten nur relativ wenig zu tun hat. Bond erfindet seine eigene Geschichte. Troja hat die Statue einer Glück bringenden Göttin geraubt. Die Athener sind gekommen, sie sich zurückzuholen. Doch ohne den Talisman, den man ihnen stahl, können sie die jahrelang belagerte Stadt nicht einnehmen. Als der trojanische König Priamos stirbt und die Stadt von der Pest heimgesucht wird, senden sie einen ihrer Feldherren mit Ismene, der Frau ihres Führers Heros, zu Königin Hecuba. Gegen Rückgabe der Statue wollen sie die Belagerung aufgeben und friedlich abziehen.

Hecuba mißtraut dem Angebot und gewinnt Ismene als Genossin für den Kampf der Frau gegen die Mordlust der Männer. Ismene will in Troja bleiben, bis die Abfahrt der Griechen sicher ist. Die trojanischen Plebejer proben inzwischen den Aufstand, ermorden den König, rauben die Statue und übergeben sie den Griechen, die prompt ihren Schwur brechen, die Stadt überfallen und alle männlichen Bewohner töten. Um nicht auch die Leiche ihres geliebten Enkelkindes sehen zu müssen, blendet sich Hecuba wie dermaleinst Ödipus. Ismene aber wird als Verräterin der griechischen Sache wie Antigone in der Mauer der Stadt lebendig begraben.

Im zweiten Teil des Stückes erfahren wir, daß Ismene entfliehen konnte und bei Hecuba blieb, als die Frauen von Troja verschifft wurden. Ein Sturm trieb die griechische Flotte auseinander. Hecuba und Ismene landeten auf einer kleinen Insel, wo sie friedlich unter Fischersleuten leben, bis die Griechen sie entdecken und in der Annahme, sie seien noch im Besitz der kostbaren Statue, die im Schiffbruch verloren ging, sie aufs Neue belagern. Doch der Tag der Abrechnung ist nahe. Hecuba lockt Heros in eine Falle und läßt ihn durch einen aus griechischen Bergwerken entflohenen schwarzen Mann vor den Augen seiner Soldaten ermorden. Sie selbst stirbt anschließend einen grausamen Tod im Wasser.

Diese an sich schon ziemlich unglaubhafte Geschichte wirkt in Bonds eigener Inszenierung (und sichtlich beeinträchtigt durch die akustischen Gegebenheiten der offenen Bühne des riesigen Olivier Theater) verworren und streckenweise fast unverständlich. Der Handlung scheint die innere Logik zu fehlen, der man über drei lange Stunden hin zu folgen bereit wäre. Man hat den Eindruck, daß Edward Bond schlecht beraten war, als er die Regie des komplexen, personenreichen Stückes selbst übernahm. Erst nach genauer Lektüre des Textes ließe sich sagen, ob ihm mehr Bedeutung zukommt, als diese erste Begegnung mit dem monumentalen Werk zu erkennen gibt. Man entdeckt viele der Bondschen Lieblingsmotive, fühlt wie stets des Autors redliches Engagement für die Leiden der Menschheit, bleibt aber als Zuschauer auch angesichts der simulierten Greuel beinahe unberührt.

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