“Was an John McGrath am meisten beeindruckt, ist die Intensität seiner Verzweiflung. Er schreibt wie Keans Richard III kämpfte, berauscht von den eigenen Wunden; die Phantome seiner Verzweiflung haben vernichtende Gewalt“. – “Jedesmal wenn ich einem Stück dieses unterschätzten Autors begegne, bin ich derart gefesselt, als wäre ich zum ersten Mal im Theater”.
Zwei Aussagen von Kritikern konservativer (!) Zeitungen über einen sozialistischen Schriftsteller, einen Mann, der vor fast zehn Jahren seine erfolgreiche Karriere als Fernseh- und Filmautor abbrach und eine Schauspieltruppe gründete, die sich die Aufgabe setzte, Theater zu machen für Menschen, die normalerweise nicht ins Theater gehen, für die 95% der Bevölkerung also, die durch ihre Steuern mit dafür sorgen, daß die Elite der Gebildeten sich den Luxus subventionierter Bühnen leisten kann.
Der kapitalistischen Gleichung Besitz = Macht und dem auf ihr basierenden System der Ausbeutung der Habenichtse haben John McGrath und die Gruppe ‘7:84‘ den Kampf angesagt. Ihr Name bezieht sich auf eine im Gründungsjahr der Theatertruppe 1971 veröffentlichte Statistik der Wirtschaftszeitung ‘Economist’, woraus hervorging: “7% der Bevölkerung Großbritanniens besitzen 84% der Güter des Landes”. McGrath meint, das Verhältnis habe sich inzwischen auf etwa 0,5% : 98% zu ungunsten der Allgemeinheit verschoben. Demokratie hin oder her, freie Wahlen schön und gut: das heute auch von den einstigen Linksparteien verteidigte kapitalistisches System sorgt dafür, daß das Machtgefälle im nominell demokratischen, vom Volk zu regierenden Staat immer steiler wird.
‘Trees in the Wind’ (Bäume im Wind) war eines der ersten Stücke der Truppe 7:84, deren spätere Arbeit sich vom elitären Stil des traditionellen Theaters, in dem es geschrieben war, entfernte. Es ist ein spannender, mit leidenschaftlichem Engagement und bitterer Enttäuschung über den Gang der Ereignisse verfaßter, doch vom großen Prinzip Hoffnung getragener Diskurs zu den Themen der Zeit, die, wie sich herausstellt, auch nach einem Jahrzehnt kaum an Aktualität verloren haben.
Drei Mädchen mit humanitären Idealen, marxistischen Ideen und feministischen Impulsen teilen eine Wohnung in London. Sie sind seelisch gezeichnet von den Spuren einer menschenfeindlichen Umwelt. Ein ehemaliges Mitglied ihrer sozialistischen Arbeitsgruppe, früher Fassadenkletterer von Beruf, erscheint überraschend und erklärt, daß er dem Kampf gegen die herrschende Gesellschaft abgeschworen und sich entschlossen habe, hinfort mit den Wölfen zu heulen und, wie alle erfolgreichen Kapitalisten, ohne größere Rücksicht auf Verluste Karriere zu machen.
Die Begegnung wird zum Vehikel der meist monologisch geführten Argumentation gegen die systematische Vergiftung der Innen- und Außenwelt durch die Mechanismen der Unterdrückung, zum Ausdruck fast ohnmächtiger Verzweiflung angesichts der Tatsache, daß auch die Masse der vom Lohn und damit vom System Abhängigen, von der Gier nach Besitz korrumpiert, am Aufbau einer menschlicheren Gesellschaft nicht mehr interessiert ist und sich ins scheinbar Unvermeidliche schickt. Die an der Erhaltung des Status Quo interessierten reaktionären Kräfte in West und Ost waren in der Lage, alle Alternativen, die beweisen könnten, daß es auch anders ginge, erfolgreich zu unterdrücken und die Mär von der unverbesserlichen Selbstsucht des Menschen (homu homini lupus est) zum Glaubensbekenntnis unserer Zeit zu machen.
Sich unter den heutigen Bedingungen zum sozialutopischen Prinzip Hoffnung zu bekennen, braucht den Mut eines Mannes vom Schlage des John McGrath, der in einem Rundfunkinterview auf die Frage, ob man nicht im Hinblick auf die Erfolge der Rechten resignieren müsse, antwortete: Gewiß, daß eine Frau Thatcher in England zur Macht kommen konnte, sei hier der schlimmste Schlag gewesen gegen alle Hoffnungen auf wirklichen Fortschritt, aber man müsse schließlich bereit sein, solche historischen Rückschläge hinzunehmen, ohne sich dadurch entmutigen zu lassen.
‘Trees in the Wind’ erinnert an den etwas weniger verhaltenen Optimismus vom Anfang der Siebzigerjahre, der nun im Rückblick durch den Zusammenbruch der linken Bewegung geradezu tragische Züge annimmt. Das Mao-Wort “Der Wind bläst, auch wenn die Bäume ruhen möchten“ wollte zur Wachsamkeit mahnen.