“Mit der Bearbeitung von Marlowes ‘Leben Eduard des Zweiten von England’, die ich mit Lion Feuchtwanger zusammen unternahm, kann ich heute nicht mehr viel anfangen“, schrieb Brecht im März 1954 bei der Durchsicht seiner frühen Stücke. “Wir wollten eine Aufführung ermöglichen, die mit der Shakespearetradition der deutschen Bühnen brechen sollte, jenem gipsig monumentalen Stil, der den Spießbürgern so teuer ist”.
Statt des gipsig monumentalen, hat sich in England im Umgang mit Shakespeare ein heldisch theatralischer Stil entwickelt, der selbst in den besten Inszenierungen der Royal Shakespeare Company, wenn sie die elisabethanischen Historien aufführt, nicht überwunden ist. Brechts Bearbeitung des Marloweschen ’Edward II’ ist für die Jüngeren – über die Wiederentdeckung des selten gespielten frühen Brecht hinaus – willkommene Gelegenheit, sich mit dem hohen Stil der Darbietung elisabethanischer Bühnenwerke auseinanderzusetzen und sich an den Anfängen des später so genannten epischen Theaters zu versuchen, ein Begriff, der – wie sich bei englischen Brecht-Inszenierungen zeigt – noch immer zu kuriosen Misßverständnissen führt.
‘Eduard der Zweite’ in der Fassung von Brecht ist bisher nur einmal in England gespielt worden. In diesen Tagen stellt das für seinen Wagemut bekannte Bush Theatre mit finanzieller Hilfe des Londoner Goethe Institutes in einem Zelt auf dem Shepherds Bush Green, einem großen Rasenplatz, eine neue Inszenierung des Stückes vor, der es gelingt, die selbst in der Brechtschen Bearbeitung noch reichlich verwickelte Fabel verständlich mitzuteilen und die Aufmerksamkeit des Publikums zweieinhalb pausenlose Stunden wachzuhalten.
Eduard der Zweite stürzt sich und sein Land ins Unglück, weil er von seinem Günstling Gaveston, einem Metzgerssohn, dem er sexuell verfallen ist, nicht ablassen will. Gegen Ende des 13-jährigen Krieges, den Eduard für seinen Geliebten gegen die Lords von England führt, wird Gaveston gefangen und umgebracht. Eduard rächt sich blutig, unterliegt aber schließlich dem Heer des ehrgeizigen Mortimer, der sich mit der Königin verbündet hat und selbst nach der Krone strebt. Eduard gerät in Gefangenschaft, wird jahrelang von einem Kerker zum anderen geschleppt und dabei den ärgsten Torturen ausgesetzt. Dennoch gelingt es Mortimer nicht, den Geist des Monarchen zu brechen. Der schwache, seiner eigenen Triebe nicht mächtige König wird im Elend stark und geht lieber in den Tod, als auf die Krone zu verzichten. Sein minderjähriger Sohn wird von den Lords zum König ausgerufen, läßt Mortimer hinrichten und die eigene Mutter in den Tower werfen.
Eine schauerliche, traurige, böse Geschichte ohne einfache politische Moral. David Mouchtar-Samorai (der im vergangenen Jahr für die erfolgreiche britische Erstaufführung von ‘Stallerhof’ sorgte) zeichnet sich vor allem durch Geradlinigkeit, Klarheit, Tempo und Leichtigkeit aus. Die neue Übersetzung von Mannheim und Smith wirkt glatter und (im unguten Sinne) moderner als die Sprache der kunstvoll holprigen, unregelmäßig rhythmisierten Verse im Brechtschen Original. Dafür entschädigt das klare, unaufwendige Spiel der Darsteller, das nur gegen Ende der von den Geräuschen des Straßenverkehrs umtosten Aufführung etwas aus der Kontrolle zu geraten schien.
Im ganzen eine bemerkenswerte, sehr gründlich gearbeitete, Intelligente Inszenierung, die in vieler Hinsicht den Intentionen des Autors entspricht und die Beschimpfungen eines rasenden Kritikers nicht verdiente, der sich, wir es schien, vom Inhalt des Stückes auf ungewöhnliche Weise getroffen fühlte. Was in diesem Fall wohl eher für die Sache sprach.