‘Bertolt Brecht in Britain’ ist der Titel einer Ausstellung im Foyer des Nationaltheaters, die auf Anregung des Londoner Goethe-Instituts zustande kam, das auch die Kosten dafür übernahm. Es ist der erste Versuch, die Rezeption der Werke Brechts in England zu dokumentarisieren und dabei zu zeigen, in welcher Weise sie das britische Theater beeinflußt haben. Ein verdienstvolles Unterfangen, zu dem man dem Goethe-Institut, das in der Vergangenheit bei der Förderung theatralischer Projekte nicht immer sehr glücklich war, nur gratulieren kann.
Im Umgang mit Brecht tut sich das englische Theater schwer. Man weiß es seit langem, hat oft darauf hingewiesen, doch selten nach Gründen gefragt. Das aber wäre gerade interessant: festzustellen, warum man in England mit Brecht nicht zurechtkommt.
In seinem Vorwort zum Katalog der Ausstellung schreibt Dr. Klaus Schulz, Leiter des Londoner Goethe-Instituts: “Brecht ist der erste und wahrscheinlich einzige deutsche Bühnenautor, mit dem das britische Theater sich ernsthaft angefreundet hat”. Mit solchen und anderen, ähnlich euphemistischen Formulierungen stellt gute Absicht sich selbst ein Bein. Indem man so tut, als seien die Probleme, von denen wir wissen, eigentlich gar nicht der Rede wert und das Verhältnis der Briten zu Brecht im Grunde sehr positiv, erweist man der Sache nur einen Bärendienst. Die Auseinandersetzung mit den Gründen für das gestörte Verhältnis findet nicht statt.
Die Geschichte der Werke Brechts in England ist eine Geschichte von Mißverständnissen. Sie haben zwar nicht verhindert, daß grundlegende Prinzipien der Brechtschen Theaterarbeit gleichsam unterschwellig auf die englische Bühnenkunst eingewirkt, die operativen Voraussetzungen der Arbeit von Regisseuren und Schauspielern auch hierzulande in gewisser Weise beeinflußt haben. Doch an authentischen Aufführungen der Stücke Brechts hat es in England bisher gemangelt. Mit einer einzigen Ausnahme – einer Inszenierung der Royal Shakespeare Company von ‘Mann ist Mann’ im Roundhouse – gerieten sämtliche Aufführungen, die ich in den letzten Jahren in London sah, entweder ins Oberflächlich-Lustspielhafte, oder sie wirkten hölzern, prosaisch und unbeholfen.
Die Ausstellung im Nationaltheater zeigt Fotos, Bühnenbilder und Programmhefte von Aufführungen, Manuskripte von Aufsätzen, die Brecht in englischen Zeitschriften erscheinen ließ, Briefe, Noten, Übersetzungen von Gedichten und eine kleine Sammlung von Kostümen und Requisiten aus Brecht-Inszenierungen des Nationaltheaters, doch nur leider wenige Zeitungskritiken, die die mitunter grotesken Mißverständnisse auf exemplarische Weise hätten belegen können.
Die Geschichte der Fehleinschätzungen beginnt mit einem Kommentar aus der ‘Sunday Times’ vom 8. Februar 1935 zur ersten radiophonischen Aufführung der ‘Dreigroschenoper’, worin es heißt: “Diesen beiden geistlosen Hunden (gemeint sind Brecht und Weill!) gelingt das unglaubliche Meisterwerk, sogar das Verbrechen langweilig erscheinen zu lassen. Es ist schwer zu sagen, was hier schwächer ist, das Libretto oder die Musik – wahrscheinlich die letztgenannte”.
Die Banausie der Londoner Theaterkritiker in Sachen Brecht erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt mit den Rezensionen zur im Nationaltheater gezeigten Inszenierung der ‘Mutter Courage’ im Mai 1965. Bernard Levin, heute anerkannt als einer der brillantesten Journalisten des Landes, liefert das Glanzstück einer schnoddrig-arroganten Journaille mit einem Text, der Brechts Stück gegen seinen Autor verteidigen zu müssen glaubt. Von dem “erbärmlichen politischen Quatsch, an den er glaubte (oder zu glauben vorgab)” ist da die Rede, dem “unaufhörlichen, unendlichen Geschwätz über seine Theaterarbeit und deren Philosophie”, der fast jede Szene seiner Stücke widerspreche, sowie von dem “blühenden Blödsinn seiner Anmerkungen zum Stück”, das “altmodisch” genannt wird, aber dann doch, am Schluß – man höre und staune – “trotz des Autors ein großartiges Stück”.
Milton Shulman, der Kritiker des ‘Evening Standard’, blamierte sich vor der Nachwelt mit den Zeilen: “Nun, da Brecht ins Nationaltheater eingebrochen ist, wird es Zeit, daß die von kriecherischen Bewunderern Mißbrauchten, von pro-Brechtscher Propaganda Überwältigten und von seinen Werken Gelangweilten sich zu einer Widerstandsbewegung formieren: Anti-Brechtianer der Welt vereinigt euch! Ihr habt nichts zu verlieren außer eurer Pein!” – Unter solchen Auspizien scheint der offenbar ironisch gemeinte Titel aus der ‘Sun’ zur lapidaren Wahrheit zu werden: “Ein Genie, doch nicht für unseresgleichen”.
Michael Kustow, stellvertretender Direktor des Nationaltheaters, schreibt in seinem Vorwort zum Katalog: “Es bleiben noch ganze Welten und Dimensionen, die wir erkunden, von denen wir lernen müssen“.
Was die Ausstellung im National Theater erreichen könnte, wäre, den Namen Brechts wieder ins Gespräch zu bringen und damit zur weiteren Auseinandersetzung mit seinen Werken beizutragen. Zur Klärung der Gründe für die bekannten Mißverständnisse leistet sie nichts.
Solange das Leichte in England noch immer als das Seichte mißverstanden wird, Ernst als Schwere und Schwere als Schwerfälligkeit, die das Vorurteil der Briten den Teutonen (leider nicht ganz zu Unrecht) als nationale Untugend zurechnet; solange die Nüchternheit der Brechtschen Stücke, die puritanische Strenge und Kühle der Texte sowie jene Form von rationaler Geistigkeit, die der Mentalität der Engländer so fremd zu sein scheint, als Zeichen mangelnder Sinnlichkeit und als Lustfeindschaft angesehen werden; solange der Humor der Stücke unentdeckt bleibt; solange die Theorien über das epische Theater nicht als die andere Seite der Praxis begriffen werden – solange werden die Schwierigkeiten im Umgang mit Brecht in England andauern.
Daß die Arbeiten von einigen der jüngeren britischen Autoren und einigen progressiven Theatertruppen die Züge einer offenbar von Brecht beeinflußten, unserer Zeit gemäßeren Bühnenkunst tragen, stimmt hoffnungsvoll. Die Auseinandersetzung mit Brecht hat jedenfalls in England noch gar nicht recht begonnen. Um über ihn hinaus zu gelangen, wird man – wie anderswo – erst einmal auf ihn zurückkommen müssen. Denn, wie es bei Levin aus falschen Gründen heißt, “Brecht is great”.