die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1979
Text # 145
Autor Peter Shaffer
Theater
Titel Amadeus
Ensemble/Spielort Olivier Theatre/National Theatre/London
Inszenierung/Regie Peter Hall/Bb.: John Bury
Hauptdarsteller Paul Scofield/Simon Callow
Uraufführung
Sendeinfo 1979.11.03/SWF Kultur aktuell/RB/WDR/ORF Wien/SRG Basel Nachdruck: Darmstädter Echo

Zu Peter Shaffers unbestreitbaren Talenten gehört die Gabe, einen Stoff so pointiert zu verdichten, daß er beim Publikum zündet. Seine Stücke enthalten stets jenes elektrisierende, sensationell-theatralische Element, das nach klassischer Definition allen Werken der dramatischen Kunst zu eigen sein sollte. Es tut sich was, wie man sagt, es weht ein kühner Atem, der selbst wo man die große Geste, das klangvolle Wort, die theatralische Pose durchschaut, den szenischen Aufwand schon deshalb lohnt, weil die Sinnenlust des Publikums in jedem Fall auf ihre Kosten kommt. Shaffer zahlt dafür gelegentlich gerne den Preis der Zumutung des uns real nicht mehr Vorstellbaren; die Größe der Charaktere tendiert zum Monströsen. Er schreibt gutes, altmodisch wirksames, vergnügliches Theater. Das Publikum dankt es ihm selbst da, wo er schockiert, die Empfindsamen schreckt. Wie in seinem neuesten Werk ‘Amadeus’, das mit der alten Fehlvorstellung vom ewig heiteren Götterknaben Mozart auf radikale Weise aufräumt und den Stoff mit geradezu blasphemischer Unverschämtheit theatralisch zu nutzen versteht.

Das Stück zeigt Mozart als zeitlebens kindhaft naives Genie, dessen Musik die Hörer verzaubert, dem man als Person jedoch wegen seiner beispiellosen Unverfrorenheit, dem Mangel an guten Manieren, seiner Lust an fäkalischen Späßen, der notorischen Leichtfertigkeit im Umgang mit Frauen und seiner unberechenbaren Launen aus dem Wege geht. Simon Callows Mozart wirkt wie ein ungebärdiges Rumpelstilzchen, das dauernd über die Stränge schlägt, mit atemberaubender Leichtigkeit die wunderbarste Musik komponiert und dennoch elend zugrunde geht, weil – so die Quintessenz der Botschaft – sein um fünf Jahre älterer Kollege Antonio Salieri, der Lehrer Beethovens und Schuberts, ihn aus Eifersucht und Neid systematisch ruiniert, ihn durch Intrigen am kaiserlichen Hof und infamen Terror halb um den Verstand und schließlich unter die Erde bringt; worin denn die frühen Gerüchte, Salieri habe Mozart vergiftet, ihre tiefere Wahrheit hätten. In der letzten Stunde seines Lebens legt Salieri vor uns, dem Publikum, der Nachwelt, die er durch theatralischen Zaubertrick als Zeugen herbeizitiert, ein großes Geständnis ab, bevor er sich selbst die Kehle durchschneidet.

Was Stück und Aufführung über den Rahmen des letztlich leider auch am Nationaltheater üblichen Mittelmaßes hinausheben und die Inszenierung zu einem echten Ereignis machen, sind der Mut zur extremen Interpretation der beiden Hauptfiguren sowie deren hinreißende schauspielerische Darstellung, die selbst die heikelsten Momente gegen Ende des Stückes, wenn Mozart wie ein waidwundes Tier mit dem Tode ringt oder Salieri mit dramatischen salti mortali der Apotheose zustrebt, über die Hürden bringt.

Paul Scofield zieht als Antonio Salieri, den er in verschiedenen Lebensaltern spielen darf, alle Register des virtuosen Menschendarstellers. Simon Callow gelingt in der Rolle Mozarts durch seinen Mut zum drastischen Ausdruck der unsympathisch grotesken Züge seiner Figur und deren tragischem Ende der Durchbruch zur Spitze der britischen Bühnenstars.

Für die Inszenierung Peter Halls hat John Drury einen barocken Guckkastenrahmen gebaut, der die Arena des Olivier Theatre nach hinten begrenzt, als transparenter Paravent für silhouettenhaft sichtbare Zuschauerchöre dient oder hinter gläserner Wand ein je nach Spielort variables Vorzimmer einsehen läßt, durch das man die ins Publikum ragende Vorderbühne erreicht.

Shaffers ‘Amadeus’ ist Ausdruck der grenzenlosen Liebe des Autors zu Mozarts Musik und zeugt von dem Bedürfnis nach historischer Korrektur verkitschter Vorstellungen über Mozarts Persönlichkeit wie auch vom theatralischen Instinkt eines Bühnendichters, der in der Gegenüberstellung der Komponisten Mozart und Salieri die Geschichte des schmählichen Sieges der intriganten Mediokrität zu gestalten versucht und den himmelhoch jauchzenden Triumph der Leistung des wahren Genies.

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